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Ein unversoehnliches Herz

Titel: Ein unversoehnliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Håkan Bravinger
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einmal einen Stift wollten sie ihm geben! Die ganze Zeit beobachteten sie ihn aus ihren schmalen Augen, um zu sehen, ob er selbstmordgefährdet war. Als ob er sich mit einem Stiftstummel das Leben nehmen würde! Sie waren hier die Verrückten, die eingesperrt gehörten. Sicher, er wusste sehr wohl, was in ihren Köpfen vorging: Unsere Patienten dürfen sich nicht umbringen, denn wer soll dann die Rechnung bezahlen? Geld war das Einzige, woran sie dachten, diese teuflischen Ärzte, das wusste er genau.
    Tagsüber sah er die anderen, die im selben Korridor eingesperrt waren. Er fand nicht, dass sie etwas mit ihm gemeinsam hatten. Die sind verrückt, dachte er, sie streiten sich wegen jeder Kleinigkeit und schreien und werfen sich auf die Erde. Wenn er Arzt wäre, hätte er sie auch eingesperrt. Aber er war doch nicht so krank, wie sie es waren. Sein Vater sollte begreifen, dass etwas schiefgegangen war, es gab ein Missverständnis, das geklärt werden musste, damit er nach Hause durfte. Hier konnte er jedenfalls nicht bleiben, sonst würde er am Ende noch genauso werden wie die anderen. Niemand konnte sich an diesem Ort aufhalten, ohne verrückt zu werden.
    Dann kam ihm auf einmal der erschreckende Gedanke, dass die anderen genauso normal gewesen waren, als sie nach Ahrweiler kamen, und erst wahnsinnig wurden, nachdem man sie eingesperrt hatte. Wie lange würde es dauern, bis er so wurde wie sie? Schon bei dem Gedanken schauderte es ihn. Im Korridor hatte er die schlimmsten Fälle völlig apathisch in ihren Zwangsjacken sitzen sehen.
    Ein neuerlicher Schauer fuhr ihm durch den Körper, vom Becken bis in den Nacken hinauf. Er erhob sich und machte den einen Schritt, mit dem er bei dem kleinen Schreibtisch war, holte einen Bogen Briefpapier heraus und begann zu schreiben.
    Lieber Pa,
    Montagabend sind wir nach Ahrweiler gekommen, ich bin hier also seit drei Tagen. Ich wohne jetzt in der ersten Etage des Haupthauses, die hermetisch abgeriegelt ist, ich nehme an, dass Pa in allen Teilen des Hauses gewesen ist und somit weißt, wie es hier aussieht. Hier gibt es niemanden, mit dem man zusammen sein kann, Doktor Marks, mit dem Ma über alles gesprochen hat, sehe ich nie, und man darf nur zu festgelegten Zeiten hinausgehen. Ich halte es niemals aus, in diesem abgeschlossenen Haus zu wohnen, in dem man die Pfleger bitten soll, einem aufzuschließen, wenn man hinausgehen will, und wo mehr oder weniger kranke Menschen von den Pflegern herumgeführt werden! Ich bin aber nicht so krank, dass ich in einem abgeriegelten Haus wohnen muss und nie hinausgehen darf, ohne dass jemand dabei ist! Kann Pa nicht Dr. Marks schreiben, damit ich in eines der Häuser umziehen darf, die offen sind, denn es ist mir unmöglich, in diesem Haus zu bleiben, ich halte es nicht aus! Das kleine Stück Garten, das zu meiner Abteilung gehört, ist immer voller anderer Patienten, die ein Gespräch anzufangen versuchen und herumrennen und mit sich selber reden. Es ist schauderhaft, ihnen zuzuhören! An den anderen Häusern gibt es wesentlich größere Gärten, sodass man dort wenigstens seine Ruhe vor den anderen Menschen hat – Pa kennt doch Dr. Marks, ich meine, Pa hat ihn doch hoffentlich zusammen mit Dr. Ehrenwall getroffen, kann Pa ihm nicht schreiben? Pa muss wirklich so lieb sein, dem Doktor in dieser Sache zu schreiben, ich ertrage das nicht!
    Dein Sohn,
    Sören Christer
    Er versuchte abzuschätzen, wie lange es dauern mochte, bis der Brief ankam. Er bereute bitterlich, dass er seine Mutter hatte abreisen lassen, bevor ihm klar geworden war, wie schrecklich alles sein würde. Sollte er jetzt wirklich einen vollen Monat warten müssen, bis sie zurückkam? Er schlug sich mit den flachen Händen gegen den Kopf, als er begriff, welch ein Idiot er gewesen war. Er hätte sie überreden können, noch etwas zu bleiben, bis sie verstanden hätte, dass er so nicht leben konnte. Stattdessen hatte er den harten Mann gemimt und ihr versichert, sie brauche sich keine Sorgen zu machen. Keine Sorgen zu machen! Wie hatte er nur so dämlich sein können!
    Er legte sich aufs Bett, erst auf den Rücken und dann auf den Bauch. Er vergrub das Gesicht im Kissen und hämmerte die Stirn dagegen, erst leicht, dann immer fester. Er wollte das Kissen sprengen, das Bett, das ganze Zimmer. Er wollte das ganze Gebäude anzünden und sehen, wie es vernichtet wurde, sehen, wie die verdammten Pfleger darum kämpften, ins Freie zu kommen, wie sie darum kämpfen würden, durch die

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