Ein Vampir fuer alle Sinne
Würstchen. Es war das, was sie jeden Morgen in der Betriebskantine zum Frühstück aß. Als sie den Mann fragend anschaute, zuckte der nur mit den Schultern.
»Ich dachte mir, es soll Ihnen wenigstens an nichts fehlen, solange Sie hier sind. Ich möchte auf keinen Fall, dass Sie sich hier unbehaglich oder unglücklich fühlen.«
Ungläubig sah Jeanne Louise ihn mit großen Augen an und warf einen vielsagenden Blick auf die Ketten. »Ach, nennen Sie das etwa ›behaglich‹?«, konterte sie sarkastisch.
»Die Ketten nehme ich Ihnen ab, sobald ich Ihnen meinen Vorschlag erläutert habe«, versicherte er ihr. »Die sind nur erforderlich, damit Sie mir vorher nicht weglaufen.«
»Soll ich Ihnen mal sagen, wo Sie sich Ihren Vorschlag hinstecken können?«, knurrte sie ihn an, kniff die Augen zusammen und konzentrierte sich wieder auf sein Gesicht, um in seine Gedanken vordringen zu können. Abermals fand sie sich vor einer Mauer wieder, die sie nicht überwinden konnte. Die Medikamente wirkten sich noch immer auf ihre Fähigkeiten aus, nahm sie zur Kenntnis und ließ sich nach hinten sinken.
»Also gut«, lenkte sie ein.« Dann erzählen Sie mir, um welchen Vorschlag es geht.« Hauptsache, er ließ sie bald wieder gehen.
Der Mann zögerte und schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, dass Sie jetzt in der Verfassung sind, mir zuzuhören. Sie wirken ziemlich aufgebracht.«
»Wie kommen Sie bloß auf so eine Idee?«, fauchte sie ihn an.
»Vermutlich, weil Sie Hunger haben«, sagte er mit sanfter Stimme und hielt ihr abermals die Gabel hin.
»Ich sagte bereits, dass ich keinen Hu…« Weiter kam Jeanne Louise nicht, da ihr Magen in dem Moment laut knurrte. Dass sie offenbar doch Hunger hatte, verwunderte sie, aber vermutlich war diese Reaktion durch den intensiven Essensgeruch ausgelöst worden und durch die Tatsache, dass sie heute Morgen nur eine halbe Portion gegessen hatte, da sie so in ihre Arbeit vertieft gewesen war. Jedenfalls hatte sie sich das eingeredet, als sie den noch halb vollen Teller weggeschoben hatte. Allerdings durfte sie dabei nicht vergessen, dass sie in letzter Zeit immer öfter Mahlzeiten ganz ausließ oder sich mit ein paar Happen begnügte. Es schmeckte ihr einfach nicht mehr so besonders wie früher. Nicht mal mehr Schokolade war so lecker, wie sie es einmal gewesen war.
Wahrscheinlich kam sie allmählich in dieses Alter, in dem Essen seinen Reiz verlor und nur noch eine lästige Betätigung darstellte. Aber auch wenn das Frühstück ihr fade und langweilig vorgekommen war, musste sie doch zugeben, dass das gleiche Gericht jetzt richtig verlockend duftete. Und sie verspürte tatsächlich leichten Hunger, ihr Blick wurde von der Gabel geradezu magisch angezogen. Als der Mann dann die Gabel leicht hin und her bewegte, so wie man es bei einem Kind machte, damit es zu essen begann, sah Jeanne Louise ihn mit zusammengekniffenen Augen an und warnte ihn: »Wenn Sie jetzt auch noch anfangen, wie ein Flugzeug zu brummen, dann werde ich ganz sicher keinen Happen essen.«
Er lachte überrascht auf, hielt ihr aber weiter die Gabel hin. »Tut mir leid.«
»Hmm«, grummelte sie und machte dann tatsächlich den Mund auf. Nachdem sie zu kauen begonnen hatte, musste sie feststellen, dass das Omelett so gut schmeckte, wie es roch. »Woher wissen Sie, dass das mein Lieblingsgericht ist?«, fragte sie, als sie geschluckt hatte.
»Ich habe jahrelang um die gleiche Zeit gefrühstückt wie Sie, jedenfalls bis vor einem Monat«, schränkte er mit einem Schulterzucken ein. »Es ist das, was Sie immer bestellen.«
Diesmal sah sich Jeanne Louise den Mann genauer an, dabei bemerkte sie seine sehr kurz geschnittenen Haare, die dunkelbraunen Augenbrauen und sein gefälliges Lächeln. Er war durchaus ein gut aussehender Mann, und es wunderte sie, dass er ihr in der Cafeteria nie aufgefallen war, obwohl sie angeblich jahrelang praktisch Seite an Seite gefrühstückt hatten. Allerdings neigte sie auch dazu, sich so in ihre Arbeit zu vertiefen, dass sie oft nicht viel von dem mitbekam, was sich um sie herum abspielte. Sie wollte unbedingt das Heilmittel für ihren Onkel und ihren Cousin finden, weshalb sie ihre Notizen auch in die Pause mitnahm, damit sie sich während des Essens weiter damit beschäftigen konnte. So besessen, wie sie davon war, hätte selbst Onkel Lucian persönlich neben ihr am Tisch sitzen können, ohne dass sie es gemerkt hätte.
Sie sah ihrem Gegenüber in die Augen, als ihr etwas ins
Weitere Kostenlose Bücher