Ein Vampir für gewisse Stunden: Argeneau Vampir 6
entdeckte sie ein paar Häuser weiter Licht auf einer Veranda. Nur ein paar Augenblicke später ging die Haustür auf, und eine ältere Frau im Morgenmantel trat heraus. Die Frau bemerkte nicht, dass Leigh sich ihr näherte, sondern war ganz auf einen Schäferhund konzentriert, der an ihr vorbei und die Stufen nach unten lief, um in den Garten zu gelangen.
„Mich vor Sonnenaufgang zu wecken”, meckerte die Frau, die in der Stille gut zu verstehen war. „Du hättest dein Geschäft machen sollen, als ich mit dir gestern Abend Gassi gegangen bin.”
Leigh schöpfte Hoffnung. Dort konnte sie vor ihrem Verfolger Zuflucht suchen und die Polizei rufen. Zumindest aber ein Taxi. Die Gegenwart des Hundes würde den Fremden hinter ihr sicherlich genug abschrecken, damit er sie in Ruhe ließ. Sie beschleunigte ihren Schritt und wollte eben der Frau etwas zurufen, doch weiter kam sie nicht. Ihr war nicht aufgefallen, dass ihr Verfolger schneller geworden war. Nun jedoch stand er plötzlich vor ihr und zwang sie dazu, abrupt stehen zu bleiben.
„Hallo Leigh.” Sie war völlig verblüfft, als der Fremde ihren Namen nannte. Doch dann schob er die Kapuze zurück, und sein Gesicht wurde erkennbar.
„Donny?”, fragte sie überrascht und zutiefst erleichtert. Donny Avries arbeitete seit einem Jahr in der Bar des Coco’s. Er war stets sehr umgänglich und kniete sich immer in seine Arbeit. Milly - Leighs Freundin und die Restaurantmanagerin während der Tagschicht - behauptete, er sei in sie verschossen und habe auf eine feste Nachtschicht gedrängt, um in ihrer Nähe sein zu können. Leigh hielt das alles für Unsinn. Außerdem kamen sie als Freunde gut miteinander aus. Als er vor über einer Woche spurlos verschwand, war sie wirklich außer sich gewesen.
Donny war zu jeder Schicht nicht nur pünktlich, sondern immer ein paar Minuten zu früh erschienen, doch seit Montagabend fehlte von ihm jede Spur. Leigh hatte versucht, ihn zu Hause anzurufen, jedoch meldete sich niemand. Als er auch am nächsten Abend nicht zur Arbeit kam, rief sie wieder an - abermals ohne Erfolg - und wandte sich schließlich an seine Vermieterin, damit die nach dem Rechten sah.
Die Frau hatte ihr berichtet, im Apartment sei alles ordentlich, allerdings mache seine Katze einen ausgehungerten Eindruck, und die Katzentoilette sei seit einer Weile offensichtlich nicht gesäubert worden. Es fand sich zwar kein Hinweis darauf, dass er zu einer seit Längerem geplanten Reise aufgebrochen war, dennoch hatte sie seine unmittelbaren Nachbarn befragt. Niemand hatte Donny gesehen, seit er am Samstagabend mit einigen Freunden losgezogen war. Daraufhin beschlossen sie, die Polizei zu verständigen.
Eine Woche war seitdem verstrichen, die Polizei war zweimal zu ihr ins Restaurant gekommen, um ihr Fragen zu stellen und letztendlich zuzugeben, dass er allem Anschein nach spurlos verschwunden war. Leigh sollte sich melden, falls sie etwas von ihm hörte. „Wo bist du gewesen?”, fragte sie, während langsam Ärger in ihr aufstieg. Sie war krank vor Sorge um ihn gewesen, und jetzt stand er wohlauf vor ihr.
Nach kurzem Zögern entgegnete er nur: „Das wirst du schon sehen.”
Diese Antwort ließ Leigh stutzen, da sie nach all den Sorgen, die sie sich gemacht hatte, schlicht unzureichend war. Und wenn sie ehrlich war, dann machten seine Worte und dieses eigenartige Lächeln um seine Mundwinkel ihr Angst. Zudem schien mit seinen Augen etwas nicht zu stimmen.
„Nein, das werde ich nicht sehen”, widersprach sie entschieden. Ihre Angst hatte sich nun vollständig in Wut verwandelt, und sie war nicht länger in der Stimmung, sich anzuhören, was er zu seiner Verteidigung vorzubringen hatte. Sie drehte sich auf dem Absatz um und ging weiter in die Richtung, in die sie auch zuvor unterwegs gewesen war. „Du kannst mir das morgen erklären, wenn du vorbeikommst, um deine fristlose Kündigung und den Scheck für dein restliches Gehalt abzuholen.”
Sie war nur ein paar Schritte weit gekommen, da blieb sie aus unerfindlichen Gründen stehen, und ihr Körper erlahmte geradezu. Ein leiser Aufprall war zu hören, als ihr die Handtasche aus den kraftlosen Fingern glitt und auf dem Grasstreifen neben dem Fußweg landete. Dann merkte sie, wie sie sich langsam umdrehte. Donny war jetzt nicht mehr allein, neben ihm stand ein anderer Mann - groß und schlaksig, mit langem strohblondem Haar, das in fettigen Strähnen sein schmales, bleiches Gesicht umrahmte. Außerdem hatte er
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