Ein verführerischer Pakt
was sie nun tun sollte. Was für ein behütetes Leben hatte sie doch vor ihrer Ehe und sogar noch nach Jonathans Tod geführt. Jetzt, da sie es so dringend nötig hatte, konnte sie niemand mehr beschützen. Ihr Vater war tot. Ihr Ehemann ebenfalls. Ihr Sohn war noch viel zu klein. Ihr Schwager stellte für sie eine Gefahr dar. Plötzlich packte sie die Wut, weil niemand sie darauf vorbereitet hatte, sich allein durchzuschlagen. Sie fluchte. Heftig und laut.
Alles, was sie sich gewünscht hatte, war ein beschauliches Leben auf dem Land gewesen, wo sie ihren geliebten Sohn zu einem aufrechten, liebenswürdigen Menschen hatte erziehen wollen, so wie sein Vater es auch gewesen war. Und wo befand sie sich jetzt?
Diese furchtbare, allumfassende Wut war ein ganz neues Gefühl für sie, trotzdem war sie sogar dankbar dafür. Zumindest hatte sie Lily dazu gebracht, zu handeln, anstatt sich von ihrer Furcht lähmen zu lassen. Und nun, wo sie schon so weit gekommen war, würde sie ihrer Angst erst recht nicht mehr nachgeben.
Konnte sie sicher sein, dass Duquesne sie nicht geradewegs wieder zu Clive zurückschickte, wenn sie ihm erst einmal erzählt hatte, was geschehen war? Oder sollte sie den tollkühnen Einfall in die Tat umsetzen, auf den sie durch die beiden Briefe gekommen war, die sie bei Brinks gefunden hatte?
Die Tatsache, dass sie überhaupt in Betracht zog, sich an einen so gefährlichen Mann zu wenden, ließ in ihr einen noch weitaus beunruhigenderen Gedanken aufkommen. War es möglich, dass Clive Recht hatte? War sie vielleicht wirklich nicht ganz bei Trost?
Guy beobachtete, wie sein hoch betagter Butler Bodkins ins Zimmer schlurfte. Der arme Mann hätte längst im Bett sein sollen, aber er war immer noch auf den Beinen, obwohl Guy sich schon für die Nacht zurückgezogen hatte. Wie Bodkins das alles in seinem Alter schaffte, war ihm ein Rätsel.
Es war beinahe neun Uhr. Noch einen Eintrag ins Rechnungsbuch, dann war es wieder auf dem neuesten Stand. Endlich. Er zupfte einen Fussel von der Spitze seiner Schreibfeder und betrachtete stirnrunzelnd den Tintenfleck auf seinem Daumennagel. "Ja, Bodkins, was gibt es?"
"Ein junger Herr ist eingetroffen, Mylord. Ein gewisser Mr. Pinks."
"Brinks?" Das Gespräch sollte doch erst am kommenden Morgen stattfinden. Es sei denn, Bodkins hatte vergessen, ihm mitzuteilen, dass sich etwas geändert hatte. Der alte Butler hörte kaum noch, und sein Gedächtnis war auch nicht mehr das, was es einmal war.
Aber egal, Brinks war da, also konnte er die Sache genauso gut gleich hinter sich bringen. Entweder war er für die Stellung geeignet, oder er war es nicht. Es sollte wohl nicht allzu lange dauern, das herauszufinden. "Schön, schicken Sie ihn herein." Als Bodkins keine Anstalten machte zu gehen, wiederholte Guy seine Worte noch einmal mit lauterer Stimme.
Langsam ging der Butler davon. Guy schüttelte traurig den Kopf und fragte sich, wie lange er dem guten Alten noch erlauben sollte, für ihn zu arbeiten. Der Ruhestand würde ihn mit Sicherheit umbringen, aber wenn er weiterhin blieb …
"Lord Duquesne", meldete Bodkins sich mit vor Alter brüchiger Stimme. Er räusperte sich geräuschvoll. "Mr. Pinks ist hier."
Guy sah auf, wobei er lächelte. Ein wenig Charme konnte nie schaden und war oft hilfreich im Umgang mit Angestellten. "Mr. Brinks, wie nett, dass Sie gekommen sind." Er beugte sich vor, um den Docht der Lampe höher zu drehen, doch selbst jetzt blieb die Beleuchtung dürftig. Die dunklen Mauern des Gebäudes schienen das Licht förmlich aufzusaugen.
Guy betrachtete seinen Besucher und versuchte, die Augen dabei nicht zu verengen. Er würde wohl bald eine Brille benötigen, wenn er sich nicht noch ein paar zusätzliche Lampen zulegte. Sparsamkeit war für ihn zu einer festen Angewohnheit geworden, seit damals, als es notwendig gewesen war. Doch obwohl er den Anschein von Armut weiterhin aufrechterhalten wollte, würde er demnächst einige Anschaffungen für seinen persönlichen Bedarf tätigen müssen.
Das war also Brinks. Der Kerl war für die Arbeit, an die Guy dachte, zu schmächtig gebaut, und er war offensichtlich auch zu jung. Aber vielleicht konnte er ja Mimms zur Hand gehen. Die Pflege des Earls war eine zeitraubende und körperlich anstrengende Betätigung, und der Diener, der sich bislang um ihn kümmerte, kam allmählich in die Jahre. Guy hatte beschlossen, dass zwei Pfleger besser sein würden als einer. Beinahe wäre er bei dem Gedanken an die
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