Ein verführerischer Pakt
beschloss, dass es nicht als Waffe infrage kam.
Zum Glück hatte man sie nicht entkleidet, selbst ihre Reitstiefel trug sie noch. Das konnte gehen. Die Absätze der Stiefel mit ihren halbmondförmigen Eisenbeschlägen, die das Leder vor dem Abnutzen schützen sollten, waren sehr solide. Lily zog die Stiefel aus und wog einen prüfend in ihrer Hand.
In diesem Moment vernahm sie sich entfernende Schritte. "Brinks? Ach, Mr. Brinks!" rief sie und versuchte, so verzweifelt wie möglich zu klingen. Nicht, dass sie das besonders viel Mühe gekostet hätte. "Könnten Sie bitte hereinkommen?" Hoffentlich hatte sie seine Neugier geweckt, wie sie wohl seinen Namen in Erfahrung gebracht haben mochte. Die Schritte verstummten augenblicklich, und Lily konnte seine Anwesenheit jenseits der Tür förmlich spüren. Betont schleppend sprach sie weiter. "Ich bin so durstig, ich würde alles geben, um etwas zu trinken zu bekommen. Alles!" fügte sie laut seufzend hinzu. "Ich fühle mich so … müde. So schwach."
Endlose Minuten verstrichen. Er war nicht fortgegangen. Vielleicht dachte er nach, ob es ratsam sei, einzutreten. Oder er bereitete wieder etwas von der Mixtur zu, die sie bewusstlos gemacht hatte. Komm herein. Komm. Schnell, ehe ich wieder den Mut verliere.
Ihr stilles Bitten wurde offenbar erhört, denn jetzt steckte er den Schlüssel ins Schloss. Ein Kopf wurde sichtbar, eine Schulter. Schließlich eine Hand, die eine Lampe hielt. Lily wusste, bald schon würde er merken, dass nur die zusammengeknüllte Decke auf dem Bett lag, nicht sie selbst. Verzweifelt packte sie ihn bei den Haaren und zerrte ihn ins Zimmer, so schnell, dass er gar nicht dazu kam, sich zu wehren. Gleichzeitig trat sie mit aller Kraft gegen seine Schienbeine. Mit einem lauten Stöhnen fiel er vornüber auf den Boden. Lily schlug sofort zu. Der schwere Stiefelabsatz traf ihn an der Schläfe – und Mr. Brinks blieb regungslos liegen.
Seine Lampe war auf dem Boden zerschmettert, die kleine Öllache fing sofort Feuer. Lily griff nach der Bettdecke und warf sie über die Flamme, um sie zu ersticken. Als dies gelang, atmete sie auf, allerdings war es nun wieder völlig dunkel, bis auf den schwachen Lichtschein, der durch den schmalen Türspalt und das vergitterte Fenster fiel.
Entschlossen zog sie erst ihre Reitjacke, dann die Bluse, den Rock und den Unterrock aus. Nach kurzem Zögern entledigte sie sich auch ihres Unterhemds. Nackt bis auf die Strümpfe und die Strumpfhalter begann Lily, den Mann komplett zu entkleiden.
In Windeseile schlüpfte sie in seine Sachen. Sie waren ihr etwas zu weit, aber nicht viel. Für einen Mann war er recht schmal gebaut, und er war auch nicht sehr viel größer als sie. Seine Stiefel waren ihr zu groß, aber sie musste sie anziehen, da ihre eigenen sich eindeutig als Damenstiefel ausgaben. Kurzerhand stopfte sie die Spitzen mit ihren Strümpfen aus.
Der Mann fing an, sich zu bewegen, und hastig schlug sie wieder mit ihrem Stiefel zu, ehe sich ihr Gewissen regen konnte. Warum sollte es ihr überhaupt etwas ausmachen, ob sie den Schuft verletzte? Was hatte er schließlich mit ihr vorgehabt!
Lily entdeckte seinen Geldbeutel und zwei Briefe. Diese beiden Schreiben brachten sie auf eine Idee, wie sie an Duquesne herantreten konnte. Vorausgesetzt, ihre Flucht verlief erfolgreich.
In seiner Tasche entdeckte sie auch zwei kleine, verkorkte Flaschen. Ob das die für sie bestimmten Elixiere waren? Keine der beiden Flaschen war beschriftet. Der Inhalt der einen roch wie Laudanum. Sie zwang die Lippen des Manns auseinander, hielt ihm die Nase zu und goss ihm die Flüssigkeit in die Kehle. Alles, bis auf den letzten Tropfen. Er schluckte, hustete und stöhnte nur einmal kurz auf. Lily betrachtete die andere Flasche und erinnerte sich, dass er erwähnt hatte, sie vor der Untersuchung wieder in beste Verfassung bringen zu wollen. Sie steckte die Flasche ein.
Eine kurze Überprüfung seines Geldbeutels ergab, dass der Inhalt gerade eben für eine Droschkenfahrt reichen würde. Sie schob ihn zurück in die Innentasche des Gehrocks. Fieberhaft suchte sie nach dem Taschenmesser, das auf den Boden gefallen war, als sie den Mann entkleidet hatte. Jeder, dem sie draußen begegnete, würde sie sofort als Frau erkennen. Ohne weiter nachzudenken, klappte sie das Messer auf, nachdem sie es entdeckt hatte, und schnitt sich die langen Locken ab – bis sie sie für kurz genug hielt, um ihre Verkleidung glaubwürdig aussehen zu lassen. Dann
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