Ein verführerischer Schuft
jetzt hatte er nicht gedacht, dass er sie hören musste. Bis jetzt hatte ihm ihre körperliche Hingabe, alles, was zwischen ihnen geschehen war, als Versicherung und Garantie ihrer Gefühle gereicht.
Aber jetzt nicht mehr. Jetzt war er verunsichert. Sich ihrer unsicher.
Obwohl sie beteuert hatte, dass sie auf ihn warten würde, wusste er nicht wirklich, was er finden würde, wenn er ihr Zimmer betrat. Aber sie war da, wenn auch nicht so, wie er es erwartet hätte. Sie lag nicht im Bett, sondern stand an einem der Bogenfenster, in ihren Morgenmantel gehüllt, die Arme unter der Brust verschränkt. Mit Schulter und Kopf lehnte sie an dem Fensterrahmen und schaute in den mondbeschienenen Garten.
Wie gewohnt hatte sie ihn nicht hereinkommen hören. Er machte kein Geräusch, als er die Tür schloss und in den Schatten stehen blieb, sie anschaute.
Sie war tief in Gedanken versunken, stand völlig reglos, während ihr Verstand anderweitig beschäftigt war.
Er zögerte, dann löste er sich aus den Schatten und machte einen Schritt in den Raum. Das merkte sie, und sie drehte sich zu ihm um. Durch die Schatten sah er ihr mildes Lächeln, dann lehnte sie sich wieder ans Fenster.
»Ist es euch gelungen, A.C.s Händler zu finden?«
Er blieb am Bett stehen.
»Es ist Ellicot.«
»Derjenige, der mehrere verschiedene Reedereien benutzt hat?«
Er nickte; dieses war nicht das Thema, das ihn vorrangig beschäftigte. Er zog sich seinen Rock aus.
»Morgen fangen wir an, die Schlinge enger zu ziehen, aber wir müssen aufpassen, dass wir A.C. nicht vorwarnen. Wir möchten, dass er noch in England ist, wenn wir seinen Namen in Erfahrung bringen.«
Er warf den Rock über einen Stuhl, dann sah er sie an. Sie blieb am Fenster, in ihren Seidenmorgenrock gehüllt und die Arme vor sich verschränkt. Er spürte, dass es ihr gut ging, sie sich wohl fühlte, aber eben auch wieder diese nicht greifbare Entfremdung.
Das Bett war hinter ihm. Er machte einen Schritt nach hinten und setzte sich auf die Kante. Durch die Schatten studierte er sie weiter eindringlich.
Er hatte die Situation manipuliert und sein Ziel erreicht - sie war hier unter seinem Dach. In seinem Haus, wo er leichter das Bett mit ihr teilen konnte, wo seine Dienerschaft sie ständig und rund um die Uhr beschützen konnte. Er hatte alles bekommen, was er sich wünschte, alles, von dem er geglaubt hatte, sie beide brauchten es, aber … Etwas war in Schieflage geraten. Es waren Unterströmungen entstanden, die er nicht gut genug lesen konnte, um ihnen entgegenzusteuern.
Sie schien sich zurückzuziehen. Sie wandte sich nicht ab, aber sie entglitt ihm. Zoll für Zoll, Schritt für winzigen Schritt …
Er musste die Worte hören, aber er konnte nicht - er wusste nicht, wie - danach fragen. So atmete er durch, schaute auf seine locker verschränkten Hände, die er zwischen den Oberschenkeln hielt.
»Vielleicht« - er zwang sich zu einem ausgeglichenen Tonfall und schaute sie an - »sollten wir die Hochzeit besprechen.«
Sie schüttelte den Kopf - unverzüglich, ohne das geringste Zögern.
»Nein, jetzt noch nicht. Es ist witzlos, irgendwelche Pläne zu machen, bevor Geoffrey es seiner Mutter gesagt hat, dann erst legen sie das Datum fest.«
Er öffnete den Mund, um sie zu korrigieren; es gab keinen Grund, weshalb sie beide warten sollten, bis Geoffrey und Adriana sich über das Wann und Wo einig geworden waren.
Die Erkenntnis, dass sie dachte, er meinte Geoffreys und Adrianas Hochzeit und nicht ihre, dämmerte ihm, ehe er etwas gesagt hatte. Die daraus folgende Einsicht blendete ihn schier. Ihr war überhaupt nicht die Idee gekommen, er könnte von ihrer Hochzeit sprechen. Sie hatte nicht in Erwägung gezogen, dass sie heiraten würden und dass er darauf anspielen könnte.
Sie stellte sich anders hin und schaute wieder aus dem Fenster.
»Es wird bald genug so weit sein, aber du musst dir wegen der Details keine Sorgen machen. Ich bin überzeugt, dass sie in Devon heiraten wollen, und das wäre auch am klügsten …« Sie machte eine Pause, fügte leise hinzu: »… unter Rücksichtnahme auf mein Täuschungsmanöver. Daher wäre auch eine kleine Feier im engsten Familienkreis am besten …«
Alicia brach ab. Sie hatte an die Hochzeit gedacht, an Geoffreys und Adrianas wachsendes Glück und sich bemüht, eine Reaktion, die Eifersucht gefährlich nahe kam, zurückzuhalten.
Sie atmete langsam ein, verspürte den stärker werdenden Drang, sich zu beklagen … nicht über
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