Ein verführerischer Schuft
schaute zu ihm hoch.
»Oh, da sind Sie ja.« Er zögerte, die Falten auf seiner Stirn wurden mit jeder Stufe, die Tony herabstieg, tiefer. Schließlich erklärte er:
»Das hören Sie vielleicht lieber unter vier Augen.«
Tony schaute mit hochgezogenen Brauen zu Hungerford.
»Danke, Hungerford. Ich bin sicher, Maggs findet nachher allein den Weg zur Tür.«
Das sagte er mit einem verständnisvollen Unterton. Hungerford verneigte sich steif.
»Allerdings, Mylord. Wenn Sie irgendetwas benötigen, läuten Sie einfach.«
»Danke.« Tony wandte sich zu Maggs um und deutete auf sein Arbeitszimmer. Hungerford entfernte sich; Maggs öffnete die Tür. Tony trat ein und setzte sich an seinen Schreibtisch. Maggs schloss die Tür und stellte sich vor seinen Arbeitgeber.
Maggs war schon Stallbursche auf Torrington Chase gewesen, als Tony ein Junge war; er hatte sich dem Sohn des Hauses angeschlossen und war ihm sogar zum Militär gefolgt. Wann immer Tony einen Offiziersburschen benötigt hatte, hatte Maggs die Aufgabe übernommen. Er war länger ein Teil von Tonys Leben, als der sich erinnern konnte. Trotz Maggs Schlägervisage war der Mann klug, fähig und tüchtig.
»Was ist?«, fragte Tony.
Maggs Stirnrunzeln hatte nicht nachgelassen.
»Ich weiß nicht, ob Sie es glauben werden, aber die Damen, Mrs. Carrington und Miss Pevensey, nehmen gerade im Moment Platz zum Dinner - nun, inzwischen müssten sie beinahe fertig damit sein. Sie haben einen Gast, einen Herren, der unter dem Namen Mr. King firmiert. Ich hätte mir nichts weiter dabei gedacht, aber ich habe ihn vorher schon mal gesehen, und ich würde beim Grabe meiner Mutter schwören, dass es sich um Mr. King, den Geldverleiher, handelt.«
Tony war derart bass erstaunt, dass er Maggs nur eine Weile stumm anstarrte. Dann nickte er.
»Du hast recht - es fällt mir schwer, das zu glauben.«
Maggs seufzte tief.
»Das dachte ich mir ja schon. Aber Collier hält an der Straßenecke Wache, daher brauchen Sie nicht zu glauben, ich hätte meinen Posten verlassen und die Damen ohne Schutz gelassen.«
»Gut.« Tony fand es nicht leicht, sich zu konzentrieren. Mr. King? Als Dinnergast? Er blickte wieder zu Maggs.
»Welche Beziehung besteht zwischen Mr. King und den Damen? Wie haben sie ihn empfangen?«
»Freundlich.« Maggs zuckte die Achseln.
»Überhaupt nicht gezwungen, falls Sie das meinen. Sie haben ihn behandelt wie einen alten Freund der Familie.«
Tony konnte das nicht fassen. Er erhob sich.
»Komm. Ich erkenne Mr. King, wenn ich ihn sehe.« Er schüttelte den Kopf, während er um seinen Schreibtisch herumkam.
»Ich kann es nicht glauben.«
»Nun denn.« Maggs folgte ihm mit schweren Schritten.
»Ich habe Sie ja gewarnt.«
Eine halbe Stunde später verfolgte Tony aus den Schatten seiner Stadtkutsche heraus, die am Ende der Waverton Street am Straßenrand hielt, wie sich ein großer, schwerer Herr von Alicia und Adriana verabschiedete. Die Schwestern blieben im Haus, aber die Lichter waren innen und außen über der Tür an; daher konnte man mühelos erkennen, dass ihr Lächeln aufrichtig war, als sie dem Mann die Hand schüttelten.
Dann drehte sich Mr. King um und stieg die Stufen zu der wartenden Kutsche in neutralem Schwarz herab.
Maggs war zu seinen Pflichten zurückgekehrt; Collier, der Mann, den Tony mit der Überwachung der Straße betraut hatte, stand auf seinem gewohnten Platz. Tony lehnte sich zurück, blieb so sitzen, bis Mr. Kings Kutsche rumpelnd an ihm vorbeigefahren war. Er sparte sich die Mühe, den Insassen noch einmal anzusehen; es war eindeutig Londons berüchtigtster Geldverleiher.
Er erinnerte sich wieder an Alicias seltsame Reaktion, ihr sichtliches Erschrecken, als er erwähnt hatte, dass er den Mann aufgesucht habe.
Die Eingangstür zum Haus schloss sich. Lässig gegen die Polster gelehnt wartete Tony, völlig überfordert damit, sich irgendeinen Grund auszudenken, für das, was er gerade gesehen hatte. Fünf Minuten später klopfte er von innen gegen das Dach der Kutsche und trug seinem Kutscher auf, in die Upper Brook Street zurückzukehren.
Wegen Maggs nützlicher Dienste wusste er dieser Tage stets, wo Alicia am Abend zu finden sein würde. An diesem Tag besuchte sie Lady Magnusons Ball; wie gewöhnlich fand er sie am Rande des Saales, von wo aus sie über Adriana wachte.
Auf die, wie er zugeben musste, nun tatsächlich aufgepasst werden musste. Die Saison hatte so gut wie begonnen; die Wölfe waren zurück, auf der Jagd
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