Ein verhängnisvolles Versprechen
Nasenspitze gerutscht. Er erinnerte sich noch ganz genau daran. Myron hatte gesehen, dass Debbie betrunken war. Wie auch die beiden anderen Mädchen, die mit ihr in den Wagen gestiegen waren.
Man kann sich unschwer denken, wie die Geschichte ausging. Die drei fuhren zu schnell über die Kuppe an der South Orange Avenue. Debbie starb noch am Unfallort. Die folgenden sechs Jahre hatte das Autowrack als warnendes Beispiel vor der High School gestanden. Myron fragte sich, wo es jetzt wohl sein mochte – was hatten sie damit gemacht?
»Was ist?«, fragte Aimee.
Aber Myron erzählte ihnen nicht von Debbie Frankel. Ohne Zweifel kannten Erin und Aimee andere Versionen derselben Geschichte. Es änderte nichts, wenn er sie ihnen noch einmal erzählte. Er wusste das. Also versuchte er es anders.
»Ihr müsst mir was versprechen«, sagte Myron.
Die beiden Mädchen sahen ihn an.
Er zog sein Portemonnaie aus der Tasche und nahm zwei Visitenkarten heraus. Dann zog er die oberste Schublade seines alten Schreibtischs auf und fand nach kurzem Suchen einen funktionierenden Kugelschreiber. »Das sind sämtliche Telefonnummern, die ich habe – das Haus hier, das Büro, das Handy und die Wohnung in New York City.«
Myron kritzelte etwas auf beide Karten und reichte jeder eine. Die beiden Mädchen nahmen sie wortlos entgegen.
»Hört mir bitte gut zu, ja? Wenn ihr je in Schwierigkeiten seid. Wenn ihr unterwegs seid und was getrunken habt, oder eure Freunde haben was getrunken oder geraucht oder was weiß ich. Versprecht mir – versprecht mir, dass ihr mich anruft. Ich komme vorbei und hole euch ab, ganz egal, wo ihr seid. Ich werde keine Fragen stellen. Ich sag euren Eltern nichts. Das verspreche ich euch. Ich bring euch, wohin ihr wollt. Ganz egal, wie spät es ist. Ganz egal, wie weit ihr weg seid. Ganz egal, wie betrunken oder bekifft ihr seid. Rund um die Uhr und sieben Tage die Woche. Ruft mich an, dann hole ich euch ab.«
Die Mädchen sagten nichts.
Myron trat einen Schritt näher an sie heran. Er versuchte, nicht zu flehentlich zu klingen. »Aber bitte … bitte fahrt nicht mit jemandem mit, der was getrunken hat.«
Sie starrten ihn an.
»Versprecht mir das«, wiederholte er.
Und einen Augenblick später – das letzte Was-wäre-wenn – versprachen sie es.
3
Zwei Stunden darauf gingen die Biels – Aimees Familie – als Erste.
Myron brachte sie zur Tür. Claire beugte sich zu ihm und flüsterte: »Ich hab gehört, die Mädchen waren unten in deinem alten Zimmer.«
»Ja.«
Sie grinste verschlagen. »Hast du es ihnen erzählt?«
»Herrje, nein.«
Claire schüttelte den Kopf. »Du bist ja so prüde.«
In der High School waren Claire und Myron enge Freunde gewesen. Er hatte ihre lockere Art toll gefunden. Sie hatte sich – in Ermangelung eines besseren Begriffs – wie ein echter Kerl verhalten. Auf Partys hatte sie immer versucht, einen Typen aufzureißen – meist erfolgreich, schließlich war sie ein gut aussehendes Mädchen. Sie hatte auf Kraftprotze gestanden. Sie war mit ihnen ein oder vielleicht zwei Mal ausgegangen und hatte sich dann einen Neuen aufgerissen.
Claire war jetzt Anwältin. In den Ferien ihres letzten High-school-Jahrs hatte sie einmal auch mit Myron rumgemacht, da unten, in ebenjenem Keller. Myron war das ziemlich peinlich gewesen. Claire hatte am nächsten Tag nicht die geringsten Probleme damit gehabt. Keine Spur von Unsicherheit, kein Ausweichen vor dem Thema, aber auch kein »Lass uns noch mal kurz darüber reden«.
Es hatte auch keine Zugabe gegeben.
Ihren Mann hatte Claire während des Jura-Studiums kennen gelernt. »Erik mit K .« So stellte er sich immer vor. Erik war schlank und steif. Er lächelte nur selten und lachte so gut wie nie. Seine Krawatte war immer mit einem perfekten Windsorknoten gebunden. Erik mit K entsprach nicht dem Bild, das Myron sich von Claires Ehemann gemacht hatte, aber die Beziehung schien
gut zu laufen. Wahrscheinlich war es die Sache mit den Gegensätzen, die sich anziehen.
Erik verabschiedete sich von Myron mit einem kräftigen Händedruck. »Sehen wir uns am Sonntag?«
Sie trafen sich jeden Sonntagvormittag mit verschiedenen anderen Nachbarn zum Basketballspielen, aber Myron war schon seit ein paar Monaten nicht mehr hingegangen. »Nein, ich komm diese Woche nicht.«
Erik nickte, als hätte Myron eine tiefe Wahrheit verkündet, und ging zur Tür. Aimee verkniff sich ein Lachen und winkte. »War nett, mit dir zu reden,
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