Ein verruchter Lord
Kopf. Laurel mit Zöpfen, die lachte, wenn er sie liebevoll neckte. Amaryllis, die ihre Schwester schadenfroh angrinste, weil sie sich mit Tee bekleckert hatte. Amaryllis, die sich hingebungsvoll und freigiebig unter ihm wand.
Laurel, die ihn mit blauen Augen voller Sehnsucht angesehen hatte – bloß war er zu jung und zu dumm gewesen, es damals zu erkennen. Amaryllis, die weinte, als er aus dem Haus geworfen wurde, obwohl sie seinen Rauswurf veranlasst hatte.
Irgendetwas stimmt hier nicht. Denk nach!
Bloß konnte er nicht nachdenken. Sein Verstand schien hinweggespült von dieser Woge seiner plötzlichen, unerklärlichen Lust. Seines Begehrens für die Schwester seiner ehemaligen Verlobten?
Ekelhaft. Unehrenhaft. Absolut unmöglich und doch wieder nicht, wie ihm die unleugbare Tatsache seiner veritablen Erektion bewies. Und als ihr Körper als Antwort darauf ganz weich wurde und sich an ihn schmiegte, festigte er seinen Griff und öffnete die Augen, um in ihr tränenverschmiertes Gesicht zu schauen. Ihre Lippen öffneten sich, und ihr Atem wärmte seinen Mund.
» Papa? « Melodys hohes Stimmchen drang von unten herauf. » Bist du da oben? «
Das Schloss der Speichertür klickte. Jack beobachtete enttäuscht die Verwandlung in Laurels Gesicht, als der Zauber brach. Sie stemmte sich fest gegen seinen Brustkorb, um Abstand zwischen sie zu bringen. » Melody « , rief sie. » Mel… «
Seine im Krieg trainierten Instinkte rieten ihm zu handeln, um Melody zu beschützen. Mit einer einzigen entschlossenen Bewegung stieß er Laurel in eine Nebenkammer des Dachbodens, wo sie taumelnd zum Stehen kam und ihn fassungslos anstarrte. » Nein! « Sie riss die Augen auf und warf sich ihm entgegen. » Jack, nicht! Sie ist meine … «
Die Tür fiel zu, bevor sie den Satz beenden konnte. Sie hörte nur noch, wie der Schlüssel im Schloss gedreht wurde und wie seine Schritte sich entfernten.
Jack steckte den Schlüssel ein und lächelte dem kleinen Engelsgesicht zu, das vom Fuße der Treppe zu ihm heraufspähte. Das energische Hämmern an der Eichentür hinter ihm ignorierte er und ging laut polternd nach unten, wo Melody auf ihn wartete. Sie sollte nichts von alldem mitbekommen.
Er war sich sicher, dass das Kind den Speicher nicht freiwillig betreten würde. Niemals.
Viertes Kapitel
» Was hat er gemacht? « Melodys Stimme klang fast wie ein Schrei. » Ich kann es nicht glauben! « Sie hob den Kopf von Buttons Schulter und starrte ihn entsetzt an.
Der gnomhafte Modeschöpfer nickte. » Es stimmt. Er hat es mir selbst erzählt. «
Melody sah angewidert aus. » Aber das ist ja abscheulich! Wie konnte er so etwas tun? «
Button tätschelte ihre Hand. » Er hat es nicht getan, um ihr etwas zuleide zu tun. Er war verwirrt, zudem in Sorge um Sie. Es war ein … Fehler. Einer allerdings, der sich in den folgenden Tagen verselbstständigte. «
» In den folgenden Tagen? « Melodys Fassungslosigkeit wuchs. » Sie meinen, er hat sie auf dem Speicher gelassen? Wie lange? «
Button schürzte die Lippen. » Das könnte ich Ihnen sagen, doch dann wäre ich gezwungen, vieles vorwegzunehmen, und die Geschichte muss schließlich spannend bleiben. Außerdem sollten Sie ein bisschen mehr Vertrauen zu Ihrem Vater haben. «
» Nein! Das ist zu schrecklich! « Melody verschränkte die Arme vor der Brust. » Ich werde nie wieder mit ihm reden. «
Button lächelte. » Denken Sie daran, es ihm zu sagen, wenn er Sie in einer Stunde zum Altar führt. « Er tippte ihr auf die Nase. » Und jetzt, meine schöne, wütende Melody, wollen Sie den Rest der Geschichte nun hören oder nicht? «
» Eher nicht « , stieß sie hervor, um ihre Meinung sogleich zu revidieren. » Ach, na ja, vielleicht doch « , meinte sie und kuschelte sich wieder in seine Arme, während er einen Kuss auf ihren Scheitel hauchte.
» Wo war ich stehen geblieben? «
» Mein Vater hat meine Mutter auf dem Speicher eingesperrt und ist davongegangen. «
» Ihr Vater hat versucht, Ihre berechtigterweise aufgebrachte Mutter zu bewegen, ihm endlich zuzuhören. «
» Ich würde jemandem, der mich eingesperrt hat, auch nicht zuhören! «
Button lachte glucksend. » Ach ja, Sie beide sind sich vom Temperament her wirklich recht ähnlich, wenn ich darüber nachdenke – ihre Mutter hat nämlich mehr oder weniger genauso reagiert. «
Laurel hämmerte gegen die schwere Eichentür, bis ihre Hände taub wurden, aber Jack kehrte nicht zurück. Erschöpft ließ sie sich irgendwann,
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