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Ein verruchter Lord

Ein verruchter Lord

Titel: Ein verruchter Lord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Celeste Bradley
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Geschichtenerzählers hatte sie ihm zugewiesen. Zwar waren seine Piratengeschichten nicht ganz so fantasievoll wie die von Colin, wurden aber von Mal zu Mal länger und detaillierter, denn er flocht seine eigenen Erlebnisse auf See mit ein. Melody jedenfalls gefielen sie. Und was ihn betraf, so wirkten sie zum einen Wunder gegen die merkwürdige Sprachlosigkeit, die ihn so oft überfiel, und zum anderen liebte er das abendliche Ritual wie alles, was mit dem kleinen Mädchen zusammenhing.
    Eine Stunde später schaute Jack versonnen auf das schlafende Kind in seinem Bett. Der Gedanke, dass sie vermutlich nicht seine Tochter war, wollte ihm nicht in den Kopf. Immer wieder vergaß er es oder verdrängte die Tatsachen.
    Was bloß hatte Melody mit Laurel zu tun?
    Im Grunde war das Kind ihr viel ähnlicher als Amaryllis. Zumindest vom Wesen her. Ihre Cleverness, ihre Neugier, ihre Offenheit und ihre Bereitschaft, Zuneigung zu zeigen – das alles verband sie mit Laurel und nicht mit der älteren Schwester. Er fragte sich, warum er nicht gleich an sie gedacht hatte.
    Weil sie dann nicht seine Tochter war, ganz einfach.
    Er hob Melodys erschlafften warmen Körper hoch und trug sie in ihr Zimmer, das Madeleine und Aidan für sie neben ihren Räumen hatten einrichten lassen. Ein wunderhübsches Zimmer für ein kleines Mädchen, in dem er fast täglich neue Spielsachen entdeckte. Heute etwa ein kleines Schachbrett mit originellen Figuren. Besonders gefiel Jack der Springer: ein pummeliges Pony mit großen, ausdrucksstarken Augen. Bestimmt handelte es sich um ein Geschenk von Lord Bartles und Sir James, dachte Jack. Wer sonst außer diesen beiden alten Käuzen, die seit Jahren täglich vor ihrer Schachpartie saßen, käme auf diese Idee. Er lächelte. Bald würde hier kein Platz mehr für die Bestechungsgeschenke sein, mit denen die Altherrenriege des Clubs um die Gunst des kleinen Mädchens buhlte.
    Der Abend wurde zur Nacht. Eben schlug die Uhr halb elf, und Jacks Gedanken kehrten zu Laurel zurück. Himmel und Hölle, was hatte er getan? Sie auf dem Speicher eingesperrt. Lieber Gott, er benahm sich ja fast, als befände er sich noch im Krieg. Und vermasselte alles im großen Stil, so viel stand fest.
    Er ließ sich in den gepolsterten Ohrensessel fallen, den Madeleine für das Zimmer ausgesucht hatte, und versuchte sich angestrengt daran zu erinnern, wann er Laurel zum letzten Mal gesehen hatte. Auf dieser schrecklichen, erniedrigenden Hausparty jedenfalls nicht. Oder doch?
    Denk nach!
    Es fiel ihm schwer, den Müll in seinem Kopf wegzuräumen, der die Erinnerungen an diese Tage inzwischen begraben hatte. Er war wegen Amaryllis dorthin gefahren. Erst war die Begegnung enttäuschend verlaufen, doch diese Nacht, in der sie ihn aufsuchte, entschädigte ihn für alles. Dachte er zumindest bis zum nächsten Tag, als ihm erneut das Herz aus der Brust gerissen wurde. Es folgten Alkoholexzesse und die Flucht nach Übersee. Wochen, Monate und Jahre, die in einem grauen Nebel verschwanden. Erst Melody durchbrach seine Dunkelheit.
    Und jetzt war Laurel gekommen, um sie ihm fortzunehmen.
    Auf dem Flur der obersten Etage standen Aidan und Colin und unterhielten sich leise.
    » Er bringt sie gerade zu Bett « , flüsterte Colin. » Der arme Kerl. Ich habe noch nie jemanden so erschüttert gesehen wie ihn. «
    Aidan sah Colin einen Augenblick lang an. » Ich schon. «
    Der Freund wandte den Blick ab. » Ich schaffe das schon. Sorgen mache ich mir um Pru und Maddie. Und um Jack. «
    » Ich hasse es, Maddie so traurig zu sehen, aber sie hat schon viele schwere Zeiten überwunden. Genau wie Pru. Jack hingegen… «
    » Jack steht auch ohne diesen Tiefschlag zu nahe am Abgrund. «
    » Melody ist so wichtig für ihn. Ich hatte den Eindruck, sie zu haben, war für ihn so etwas wie … eine Wiedergutmachung « , sagte Aidan nachdenklich.
    Colin blickte in die Ferne. » Ein Leben für ein anderes, meinst du? «
    » Wir wissen nicht, wie er denkt. Nicht sicher zumindest. «
    Auf der anderen Seite des Flures, hinter der angelehnten Tür zu ihrem Wohnzimmer, presste Pru eine Hand auf den Mund, die Augen weit aufgerissen.
    Ein Leben für ein anderes?

Fünftes Kapitel
    Auf dem Speicher hielt Jack vor der verschlossenen Tür inne. Sollte er anklopfen? Obwohl es ihm irgendwie albern vorkam, tat er es.
    » Bitte, komm herein. « Nicht einmal das massive Eichenholz vermochte die Ironie in ihrer Stimme zu dämpfen.
    Er drehte den Schlüssel im Schloss,

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