Ein verwegener Gentleman
Betrag zu gewähren, damit ich …“
„In einer Hinsicht hast du recht, Miss“, warf die Großmutter streng ein. „Diese Rücklage soll dir zugutekommen. Wenn du glaubst, ich würde dir mein hart verdientes Geld überlassen, damit du es solchen Kreaturen geben kannst, die uns bestehlen, sobald man ihnen den Rücken zukehrt, dann irrst du dich gewaltig!“
„Es könnte den armen Frauen helfen, eine Anstellung und etwas Selbstachtung zu finden“, machte Elizabeth müde geltend. „Es könnte ihnen helfen, ein neues Leben zu beginnen. Nur einhundert Pfund … bitte. Es ist doch mein Geld, und es würde für so viele einen solchen Unterschied bedeuten.“
„Da könnte ich es ja ebenso gut deinem Gatten geben, damit er es beim Glücksspiel vergeudet.“
„Und die Männer, mit denen du mich gerne verehelicht sähest, würden auch genau das tun!“, gab Elizabeth bitter zurück. „Vielleicht sollte ich den Reverend doch heiraten. Ich könnte ihn sicher überzeugen, es mir sofort wiederzugeben!“
„Ha! Glaubst du, das hätte ich nicht bedacht? Es steht in den Bedingungen. Wenn du einen Geistlichen heiratest, ist deine Mitgift verwirkt.“
Elizabeth warf verzweifelt die Hände in die Luft. „Ich liebe dich wirklich, Großmama, aber deine Menschenfeindlichkeit widert mich an.“
„Ich liebe dich ebenfalls, Enkeltochter, und deine unangebrachte Wohltätigkeit hat dieselbe abstoßende Wirkung auf mich“, gab Edwina über die Schulter zurück. Dann war sie zur Tür hinaus.
Lady Rebecca Ramsden sah von ihrer Lektüre der Gazette auf und starrte mit ihren strahlend türkisblauen Augen gedankenversunken vor sich hin. Das konnte doch nicht wahr sein! Luke hätte es ihr doch sicher erzählt! Sie las den Absatz noch einmal. Es war wahr! Dort stand es schwarz auf weiß!
Sie sprang auf, die Zeitung fest in der Hand, und eilte zur Tür hinaus. Im Korridor traf sie den betagten Butler und fragte aufgeregt: „Haben Sie meinen Gatten gesehen, Miles?“
„Äh, nein, Miss Becky“, erwiderte Miles. Keiner von beiden fand die informelle Anrede unangemessen. Vor ihrer Hochzeit mit Baron Ramsden war sie Miss Becky gewesen, und für die alten, getreuen Diener auf Ramsden Manor, die sie schon seit ihrer Kindheit kannten, war sie Miss Becky geblieben.
„Ich nehme an, er übt mit dem kleinen Master Troy die Gangarten des Ponys“, fügte Miles hilfreich hinzu.
Rebecca eilte lachend und mit der zerknitterten Gazette winkend weiter. Sie verließ das Haus und lief im milden Sonnenlicht des Herbstnachmittages zu den Ställen hinüber. „Luke“, rief sie atemlos, als sie in das kühle, dämmrige Gebäude stürmte.
Einige junge Stallburschen blickten sie neugierig an. „Ich glaub, Seine Lordschaft ist in der Scheune mit dem jungen Herrn. War ganz schön müde nach dem Ritt, Mylady. Schlief fast schon im Stehen ein“, berichtete ihr einer von ihnen.
Rebecca nickte ihm dankend zu und war schon wieder draußen. Einen Augenblick später stieß sie das Scheunentor auf und hielt inne. Ihr Gatte saß vor einem Stapel Strohballen, zu deren dunklem Gelb sein tiefschwarzes Haar einen auffallenden Kontrast bildete. Als er aufblickte, war sein Gesicht in das warme Licht der Sonnenstrahlen gebadet, die durch das geöffnete Tor fielen. Mit seinen dunkelbraunen Augen erfasste er die anmutige Gestalt seiner Gattin, die sich gegen den dunstig goldenen Hintergrund abhob. Er lächelte ihr auf diese besondere, vertrauliche Art zu, die ihr Herz schneller schlagen ließ, und legte einen Finger auf die Lippen, während er auf ihren kleinen Sohn wies, der zusammengerollt im weichen Stroh neben seinem Vater lag.
Rebecca ließ sich vorsichtig neben beiden auf die Knie sinken. Sie hielt Luke die Gazette vor die Nase und flüsterte: „Warum hast du mir nichts davon gesagt? Sind das nicht wunderbare Neuigkeiten?“
Luke blickte stirnrunzelnd auf das Blatt und sagte leise: „Wessen Hochzeit auch immer verkündet werden mag … ich weiß nichts darüber, Rebecca. Ich habe die Zeitung heute noch nicht in der Hand gehabt.“
„Nein … nein, keine Hochzeit!“, schalt Rebecca mit gesenkter Stimme. Dann blitzten ihre Augen spitzbübisch auf. „Du hast es noch nicht gesehen? Dann rate mal, was ich gerade gelesen habe“, neckte sie ihn und sprang auf. „Ich verspreche, es wird dich interessieren. Es wird dich freuen …“
„Genug. Ich bin neugierig“, brummte ihr Gatte. Ohne sich zu erheben, schlang er einen Arm um sie und versuchte, die
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