Ein verwegener Gentleman
Sie nahm ihren Ellbogen, schob sie vorwärts und zischte ihr etwas Ermutigendes ins Ohr. Doch Elizabeths Beine waren bleischwer, sie konnte kaum atmen. Ihr Blick huschte über blondes … brünettes Haar … verweilte nie lange genug, um etwas deutlich zu erkennen. Wo bist du? Mehr als alles in der Welt wollte sie sein markantes Antlitz sehen. Sie brauchte ihn so sehr …
Als sie ihn schließlich entdeckte, stieß sie den angehaltenen Atem aus. Langsam erhob er sich und kam auf sie zu. Mit seinen honigfarbenen Augen schaute er sie beruhigend an.
„Mrs. Sampson … Lady Elizabeth … ich freue mich sehr, dass Sie kommen konnten …“, begrüßte er sie warm. Er wandte sich Edwina zu und unterhielt sich mit ihr, legte jedoch seine feste, vertraute Hand unter Elizabeths Ellbogen und zog sie diskret näher an sich heran. Es schien ihr die natürlichste Sache der Welt zu sein, den Schutz seines großen, starken Körpers zu suchen.
Ein elegant gekleideter, gut aussehender Gentleman gesellte sich zu ihnen. Ross machte sie mit seinem Bruder Luke bekannt. Elizabeth hoffte, dass sie auf die heitere Begrüßung des würdevollen Aristokraten angemessen geantwortet hatte, der wohl einige Jahre älter war als Ross, ihm aber sehr ähnlich sah. Baron Ramsden führte Edwina galant zu den anderen Gästen.
Elizabeth verabscheute sich für ihre Ängstlichkeit, dennoch war es noch viel zu früh für sie, die Sicherheit von Ross’ körperlicher Nähe aufzugeben.
„Hab keine Angst, Liebling“, beruhigte er sie mit so viel Zuneigung in seiner Stimme, dass Elizabeths Kopf hochruckte.
Seine bernsteinfarbenen Augen leuchteten amüsiert, doch nicht spöttisch, sondern freundlich, verständnisvoll, was sofort ihren Ärger weckte. Sie wollte nicht bemitleidet werden! Nicht von ihm! Sie wollte ihm sagen, dass sie sich nicht fürchtete, doch es kam ihr kein Wort über die Lippen. Sie erkannte an seinem Gesichtsausdruck, dass er ihren Widerspruch erwartete. Dennoch schwieg sie, weil ihr auf einmal bewusst wurde, dass er sie Liebling genannt hatte, und wenn es auch nur eine bedeutungslose Schmeichelei war, es gefiel ihr.
Sein Lächeln vertiefte sich. „Gut. Ich sehe, du bist jetzt etwas entspannter, Elizabeth. Du siehst fast wieder wie der kleine Zankteufel aus, den ich kennen und lieben gelernt habe …“
Elizabeth schaute ihn an, unfähig zu atmen. Sie riss ihren Blick von den goldenen Augen los und befeuchtete ihre Lippen mit der Zungenspitze. „Es … es tut mir leid, dass ich mich wie eine stumme Idiotin benommen habe, als Sie mich Ihrem Bruder vorgestellt haben.“ Sie kämpfte verzweifelt um ihre Selbstsicherheit und fuhr rasch fort: „Es ist nur … Ich gehe so selten aus …“ Sie verstummte und spürte, wie sie errötete. „Ich mag es nicht, wenn man mich angafft …“
„Das ist nicht böse gemeint, Elizabeth. Es ist nur unmöglich, dich nicht unverwandt anzusehen, weil du so außergewöhnlich schön bist. Als du hereinkamst, habe selbst ich dich einen Moment verblüfft angestarrt.“ Sein Blick glitt über ihren verführerischen, in pflaumenblauen Samt gehüllten Körper, während er ihre Hand nahm und sie in seine Armbeuge legte. Keiner der Gäste sah in ihre Richtung.
„Komm, ich möchte dich nur rasch allen vorstellen, denn ich möchte dich vor dem Dinner noch unter vier Augen sprechen.“ Jetzt klang seine Stimme energisch.
Elizabeth erschauderte, doch sie hatte sich wieder in der Gewalt. Dies war nichts weiter als eine geschäftliche Angelegenheit für ihn, egal, wie aufmerksam und ritterlich er sich in Gegenwart seiner Familie benahm. Als er die Einladung ausgesprochen hatte, war sie der Meinung gewesen, er wolle gerne, dass sie eine gute Meinung von seiner Familie und seinen Freunden hatte. Jetzt glaubte sie, dass das Gegenteil der Fall war. Sicher wollte er die Zustimmung dieser beeindruckenden Leute, ehe er sich unwiderruflich band.
Stolz und verärgert sagte sie sich, dass sie keine andere Wahl hatte, als die Rolle der voraussichtlichen Gattin zu spielen. Im Gegenzug erwartete sie jedoch, dass er ehrlich sein würde und ihr das Collier zurückgab!
Sie holte tief Luft, als sie sich dem Sofa näherten, und wappnete sich. Und dann blickte sie in die lächelnden türkisfarbenen Augen der Dame, mit der ihr zukünftiger Gatte einkaufen war.
Er hatte es sehr wörtlich gemeint, als er gesagt hatte, er wolle sie nur rasch vorstellen. Nach nicht einmal fünfzehn Minuten wurde sie von ihrem Gastgeber wieder zur
Weitere Kostenlose Bücher