Ein weißes Land
er auch von mir noch einmal hören, was genau geschehen war. Ich berichtete jede Einzelheit, an die ich mich erinnern konnte. Als ich fertig war, lächelte Elias verschmitzt. Es lag etwas Gutmütiges in seinem hellen Gesicht, so als wisse er Bescheid über den jungen Mann vor ihm. Ich war beklommen und schwieg, bis der andere endlich das Wort ergriff.
»Du hast Mirjam tapfer verteidigt«, sagte er. »Dafür danke ich dir. Aber warum hast du das nicht ihrem Bruder überlassen? Er war für sie verantwortlich.«
Wieder einmal fehlten mir die Worte.
»Hast du sie gern?« Das Lächeln in Elias’ Gesicht verstärkte sich, seine Augen wurden schmal.
Ich nickte nur leicht und kam mir dabei vor wie ein dummer Junge. Elias wandte sich unvermittelt ab und ließ mich stehen. Kurz darauf kam er mit einem Teeglas zurück, reichte es mir und sah aufmerksam zu, wie ich trank.
»Ich muss dir etwas sagen. Es wird dir nicht gefallen. Du weißt nicht, wer ich bin, oder? Gut. Die Golans und ich sind gut befreundet. Und Mirjam liegt mir besonders am Herzen. Denn sie wird meine Schwiegertochter werden.« Er ließ es einen Augenblick wirken. »Mein Sohn Aaron wird sie heiraten. Bald schon.« Er missdeutete meinen verwirrten Blick auf die Leute im Raum. »Er ist nicht hier. Zur Zeit weilt er in Bombay, das ist in Indien. Er kümmert sich um den Teehandel. In Kürze aber wird er zurückkommen.«
Die letzten Worte klangen in meinen Ohren wie eine Warnung. Der unerwartete Ernst dieser Unterredung überraschte mich, zugleich wollte ich nicht das empfinden, was dieser Elias überzeugt war, in meinem Gesicht zu lesen. Der Ring um Mirjam und Ezra hatte sich aufgelöst. Ich sah ihr blasses Gesicht, eingefasst vom schwarzen Tuch und begann zu begreifen, was der Mann mir sagen wollte. Mein erster Impuls war, abzuwiegeln, alles herunterzuspielen.
»Nun«, begann ich in altklugem Tonfall und bemerkte selbst, wie ich mein Gegenüber imitierte, ohne es zu wollen, »das freut mich, obwohl ich nur ein Bekannter von ihr bin. Eigentlich war alles nur ein Zufall, ich sollte nicht einmal hier sein.«
Elias lächelte wieder und wiegte den Kopf dabei. »Der Cadillac war übrigens mein Geschenk für die beiden.«
Ich ging sofort darauf ein: »Es hat ihn ziemlich erwischt. Aber ich glaube, man kann es reparieren.«
»Mach dir darüber keine Gedanken. Es hätte weitaus schlimmer kommen können, aber zum Glück warst du ja da.«
Voller Wohlwollen klopfte mir Elias auf die Schulter, und doch fühlte ich mich elend dabei. Ich war froh, als der Mann mich endlich in Ruhe ließ und sich zu den anderen gesellte.
An diesem Abend fing ich noch einen skeptischen Blick von Ephraim auf. Ich sah ihn anders als zuvor. Ich wusste nun, dass auch Ephraim nicht für Mirjam infrage kam und fragte mich, ob ich vielleicht doch einmal mit ihm reden sollte. Immerhin war er ein kluger Mann; auch jetzt er trug er ein Buch unter dem Arm, sein Zeigefinger war sogar zwischen die Seiten geklemmt. Ich konnte mir gut vorstellen, wie Ezra ihn beim Lesen überrascht hatte, als er ihn alarmierte.
Meine Stimmung sank plötzlich. Ich weiß überhaupt nichts, dachte ich, kenne nicht einmal meine Stadt und meine Leute. Hatte der Vorfall am heutigen Abend nicht gezeigt, dass ein Unheil in der Luft lag, von dem ich nichts geahnt hatte? Ich blickte in die Runde, musterte die Männer in ihren europäischen Hosen und Hemden, mit ihren flachen Armbanduhren, diesen neuen, kleinen technischen Wunderwerken, und fragte mich, ob ich ihnen glauben sollte. Stand das Land wirklich am Abgrund, wie sie behaupteten, oder hatten meine Lehrer in der Schule recht, die vom Fortschritt und vom Aufbau einer starken, selbstbewussten Nation sprachen?
Ich ahnte, dass ich den Männern in diesem Raum niemals vollends vertrauen würde, dazu waren sie mir einfach zu fremd. Und doch bewegte ich mich wie zufällig, um die Teetasse abzustellen, zu Ephraim hinüber. Der aber schien nicht in der Stimmung, ein Gespräch zu beginnen. So ergriff ich die Initiative. Irgendwann blitzte mich der andere aus wachen Augen an.
»Wenn du wirklich verstehen willst, was heute geschehen ist, dann komm zu unseren Treffen. Dort wirst du alles darüber erfahren.«
Ich willigte ein.
»Wer weiß, vielleicht nützt es dir in der Zukunft. Oder glaubst du, in Sicherheit zu sein, nur weil du ein Araber bist?«
Ich dachte an die Schwarzhemden in der Schule und verneinte schuldbewusst, denn bisher war ich davon überzeugt gewesen.
Die Sache
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