Ein weißes Land
gelassen. In Wahrheit aber war ich aufgeregt wie ein Kind.
Ezra brauchte tatsächlich mehr als zwanzig Minuten, doch dafür begleitete ihn Mirjam, in eine schwarze Abbaja gehüllt.
»Sie kommt mit«, sagte er kurz und hielt triumphierend die Autoschlüssel hoch.
Mirjam blickte ernst zu mir. »Muss ich bei euch beiden etwa hinten sitzen?«
»Ja, das musst du«, sagte Ezra und öffnete die Wagentür.
»Auf dem Vordersitz hätten wir beide Platz, was meinst du?«
Bevor ich antworten konnte, startete Ezra den Motor.
Zunächst fuhren wir im Viertel umher. Zum Unmut Ezras hatte es sich seine Schwester auf dem Beifahrersitz bequem gemacht, während ich nun auf das Motorgeräusch lauschen und aus dem hinteren Fenster schauen konnte.
Nachdem ich mich auf die Rückbank hatte fallen lassen, versank ich in Träumereien. Ich legte die Handflächen auf das Leder und sog den fremdartigen Geruch tief ein. Kurz kamen mir die Gerberjungen mit ihren Eimern voll Kot in den Sinn, doch lenkte ich mich davon ab mit einem Blick auf Mirjam. Auch sie blickte versonnen zum Seitenfenster hinaus, die Abbaja war herabgerutscht bis in den Nacken. Ich konnte ihr Gesicht nur im Halbprofil sehen, es zeigte jene Traurigkeit, die ich immer dann an ihr bemerkt hatte, wenn sie sich unbeobachtet wähnte. Gern hätte ich sie einmal nach dem Grund gefragt.
Die alte Pferderennbahn und die Tennisplätze glitten im Fenster vorüber, ein gepflegter, menschenleerer Golfplatz breitete sich im Staubdunst aus wie ein zartgrüner See.
Nach der dritten Runde standen wir wieder vor dem Haus der Familie. Ezra verschränkte die Finger auf dem Lenkrad und ließ den Motor laufen.
»Zehn Minuten, hat er gesagt. Wir sind schon länger unterwegs.«
Alle drei schwiegen wir unschlüssig.
»Fahr zum Fluss«, sagte Mirjam schließlich, und als hätte er nur darauf gewartet, legte Ezra den Gang ein und gab Gas.
Ich lehnte mich wieder entspannt zurück. Was die beiden entschieden, konnte mir nur recht sein; ich würde ihrem Vater ohnehin nicht unter die Augen treten.
Wir fuhren nach Süden. Jetzt fiel mir auf, dass einige Passanten stehen blieben und sogar unverhohlen auf uns zeigten. Ich setzte mich aufrecht, um das Schauspiel besser beobachten zu können. Eine Gruppe junger Männer winkte uns zu, aber ihre Armbewegungen waren für Freundlichkeiten zu heftig.
Plötzlich fühlte ich mich verloren, das Auto kam mir vor wie ein prachtvoller Käfig. Das war meine Stadt, in der ich mit den beiden plötzlich völlig allein war. Die schienen nichts bemerkt zu haben. Sie saßen schweigend nebeneinander, Mirjams Augen waren starr nach draußen gerichtet, so als wäre sie tief in Gedanken. Doch was immer ihr durch den Kopf gehen mochte, ich war sicher, sie empfand genau wie ich. Bei Ezra mochte es anders sein, denn er war fähig, tatsächlich nur wahrzunehmen, was er wollte.
Am Stadtrand erreichten wir eine holprige Ausfahrt, über die wir bis an das Ufer des Tigris fahren konnten. Ezra parkte das Auto im Schatten hoher Schilfhalme. Wir stiegen aus und ich atmete erleichtert auf. Der Spätnachmittag war heiß, über dem Fluss war Dunst zu erkennen, scharfgezeichnet hingen kleine Frachtkähne darin.
Wir verbrachten den Rest des Nachmittags am Flussufer. Dort fanden wir einen Fischer, der uns eine Decke im Ufersand ausbreitete und seinen halben Tagesfang für uns grillte. Der Mann wirkte überrascht und neugierig, waren seine Gäste doch ganz anders als die Familien, die sich üblicherweise hier einfanden. Beim Essen setzte er sich zu uns und lauschte aufmerksam jedem Wort. Doch er selbst sagte nichts, nur manchmal, wenn er meinte, dass niemand es bemerkte, blinzelte er zu Mirjam hinüber. Sein im dunklen Bart fast verschwindender Mund stand dabei offen, so als wäre er maßlos erstaunt von diesem Anblick.
Mirjam ignorierte ihn freundlich und tat weiter ihre Meinung über die politische Lage im Land kund, nachdem ich von den Schwarzhemden in der Schule erzählt hatte. Beruhigend schwappte das Wasser ans Ufer, der Fluss glitt träge dahin. Ein Wasserhändler füllte seine Kanister auf. Er schien uralt zu sein, doch als er fertig war, schulterte er seine Last mit einem Ruck und stampfte wie ein gebeugter Titan die Böschung hinauf. Die Bäume drüben am Westufer konnten sich vom Dunst nicht befreien, den die Stadt auf dieser Flussseite am Ende des Tages ausstieß.
Beim Abschied wusste der Fischer nicht, wo er die Hände lassen sollte. Er hätte so gern noch etwas für uns
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