Ein weißes Land
gerade als Ezra und ich ausgestiegen waren, ergriff der Mann die Flucht, nicht ohne seine Waffe wieder aufzuheben. Seine Schritte verhallten und wir blieben mit Mirjams Wimmern in der leeren Gasse zurück.
Wir warteten und lauschten angestrengt auf jedes Geräusch. Ich zwang mich, gleichmäßig zu atmen. Besorgt blickte ich zu Mirjam hinüber, die noch immer vorn im Auto saß und sich so klein gemacht hatte, dass sie kaum noch zu sehen war. Ezra stand regungslos und spähte die Gasse hinunter, dorthin, wo schwach noch der Lichtschein der Straße erkennbar war.
»Sie kommen«, sagte er, als ich bereits Hoffnung schöpfte.
Ezra hastete zum Wagen und stieg ein, da erhob sich vom Ausgang der Gasse her vielstimmiger Lärm. Es dauerte qualvolle Sekunden, bis der Motor endlich ansprang. Ich sah die Horde jetzt kommen, an der Spitze lief der Mann mit dem Wasserrohr; er trug es wie eine Fahnenstange vor seinem Körper. Mit einem Ruck setzte sich der Wagen in Bewegung.
Als wir an den Backsteinhäusern von Bataween entlangfuhren, legte Ezra seiner Schwester die Hand auf die Schulter, fragte sie, wie es ihr gehe, sie aber antwortete nicht.
Erst jetzt fiel mir auf, dass der Angriff wortlos erfolgt war. Ich blickte noch einmal zurück, doch da war nichts als die leere Straße, als wäre das alles nur ein Spuk gewesen. Aber es gab, vor unseren Augen, die zerstörte Windschutzscheibe mit dem verbogenen Rahmen.
7.
I n dieser Nacht noch fuhren wir zu einem geheimen Treffpunkt des Untergrunds. Es gab dort für Ezra und Mirjam nichts zu tun, aber die Vorstellung, gleich nach Hause zu fahren, noch dazu mit dem demolierten Wagen, gefiel ihnen nicht. Der Schrecken saß tief, Mirjam erholte sich nur langsam.
Der Treffpunkt, ein leerstehender Laden, lag in einer engen, unscheinbaren Gasse, die früher einmal vornehmlich von Christen bewohnt worden war. Jetzt hatten viele die Gegend verlassen und die noch da waren, klagten über schlechte Geschäfte. Der Laden ähnelte einer Ruine. Trotz der Tageshitze war es drinnen, zumal in der Nacht, feucht, es roch nach Schimmel und der Kalk löste sich von den Wänden. Ezra griff nach den langen Henkeln der Öllampen, die an den Wänden hingen, und winkte Mirjam und mich herein. Er entzündete die Lampen und stellte sie auf den Boden. Zwei Holzbänke standen im Raum, Stapel von Zeitungen und Magazinen türmten sich um sie, an einer Wand hing schief ein Bücherbrett, es gab eine Wasserpfeife und einen Samowar, das war die ganze Einrichtung.
Kurz amüsierte ich mich bei der Vorstellung, dass von hier aus die Revolution geplant wurde. Angespannt, wie ich war, gelang es mir nur mit Mühe, mich zu beherrschen. Ich setzte mich auf eine der Bänke und schaute durch das staubblinde Schaufenster hinaus. Gleich darauf verfiel ich auf den Gedanken, die Meute könnte uns bis hierher verfolgt haben. Möglicherweise waren sie nicht weit entfernt, auf der Straße und planten ihren nächsten Angriff. Ich sprang auf, ging wieder hinaus und blickte konzentriert in beide Richtungen der Gasse.
»Hierher werden sie nicht kommen«, rief Ezra von drinnen.
»Woher willst du das wissen?«, erwiderte ich.
Abgeschlossen von der Außenwelt in dem Raum zu sitzen, war mir unerträglich.
»Das wagen sie nicht«, sagte Ezra entschieden.
Ich blieb wachsam am Eingang und es tat mir gut. Ich musterte die leeren Häuser und genoss die Stille. Allmählich entfernten sich die Ereignisse und nur Mirjam, der Schrecken lag noch immer in ihren Augen, hinderte mich daran, zu gehen.
Wir schwiegen, während Ezra Tee kochte. Dann rief er:
»Ich werde die anderen holen. Wir müssen das besprechen.«
»Es ist schon spät«, wandte ich ein.
Doch er eilte wortlos an mir vorbei und verschwand in der Dunkelheit.
In dieser Nacht drehten sich die Gespräche nur um das, was der Vorfall möglicherweise bedeutete. Alle von den für die späte Stunde unerwartet vielen, die zum Treffpunkt gekommen waren, beschäftigte nur der eine Gedanke: Stand der Ausbruch kurz bevor? Jeder schien ein klares Bild von der Bedrohung zu haben, nur ich fragte mich, wovon diese Leute sprachen. Außer Ephraim kannte ich keinen von ihnen, und ich spürte ihr Misstrauen deutlich. Sie scharten sich um Ezra und Mirjam, voller Anteilnahme blickten die Männer auf die unter ihrer Abbaja versteckte Frau.
Doch ein älterer Herr mit gepflegtem weißem Vollbart kam herüber und sprach mich an. Er stellte sich als Elias vor und fragte mich nach meinem Namen. Danach wollte
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