Ein weißes Land
mit dem Auto hatte Folgen. Ich musste mich vor meinem Vater rechtfertigen nicht nur für den Schaden, der entstanden war, sondern auch für meinen Umgang.
»Es geht nicht darum, dass sie Juden sind«, sagte er. »Du weißt, wie ich darüber denke. Wir haben genügend von ihnen in der Nachbarschaft. Aber das dort sind besondere Leute, mit denen du dich herumtreibst.«
In gespielter Verzweiflung rieb er seine kräftigen Hände aneinander. Ich beobachtete meinen Vater aufmerksam, es schien ihn zu verunsichern.
»Schau nicht so frech, nach allem, was du angerichtet hast.«
Rasch war er bei mir und hob die flache Hand. Ich zuckte zurück, doch es war nur eine Drohung, die Hand schwebte über mir.
»Ich habe nichts getan«, entgegnete ich. »Wir sind angegriffen worden.«
»Darum geht es nicht. Du bist mit diesen reichen Leuten zusammen, ich weiß nicht, wie oft. Sie setzen dir Ideen in den Kopf. Du willst so sein wie sie, aber das bist du nicht. Nichts verbindet sie mit uns, außer dass sie in derselben Stadt wohnen. Dieser Kaufmann hat einen Boten zu mir geschickt. Zum zweiten Mal nun schon! Er richtet mir aus, dass ich keine Kosten fürchten muss, dass er dich aber noch einmal sehen will. In welch eine Lage bringst du mich? Ich will nicht dankbar sein müssen für die Großzügigkeit eines Fremden. Verstehst du das?«
Ich wusste genau, wovon mein Vater sprach. Längst spürte ich zwischen uns den Abstand, der entstanden war, seit ich Ezra kannte. Mein Vater ist ein beschränkter Mann, dachte ich oft, so beschränkt, wie alles, was ihn umgibt. Seine Arbeit ist ein ewiges Einerlei, seine Ideen kreisen immer nur um dieselben Dinge. Und doch hatte er diesmal ausgesprochen, was ich nicht zu denken wagte. Aber ich konnte mich nicht entschließen, die Freundschaft mit Ezra zu beenden. Wenn ich sie auch nicht jeden Tag brauchte, so war sie doch wie ein Fenster auf eine unbekannte, prachtvolle Straße hinaus, von deren Anblick ich einfach nicht lassen wollte.
Der Bote hatte noch einen Brief von Mirjam mitgebracht, den mein Vater mir vorwurfsvoll hinwarf. Ich hielt ihn in der Hand, diesen ersten Brief meines Lebens, und ich sah sie vor mir, wie sie es genoss, an jemanden zu schreiben, weil es so sehr ihrem Bild einer modernen Frau entsprach, das sie gern entwarf.
Noch heute blicke ich hilflos auf das Stück Papier und erinnere mich an die Scham beim Gedanken an eine mögliche Antwort, die all meine Unbildung verraten würde. Ich faltete den Brief auf und las:
Ich habe den Boten bestochen, damit er dir diesen Brief bringt. Ich schreibe meinem stummen Begleiter, von dem ich nichts weiß, nicht einmal, wie er zu mir steht. Ezra sagt, du seist ein guter Junge, nur die Anwesenheit so vieler fremder, neuer Menschen mache dich ein wenig unsicher. Ansonsten seist du mutig und klug. Wie du siehst, kann ich all das nur erfahren, wenn ich mit meinem Bruder über dich spreche. Das ist schade, aber so stehen die Dinge nun einmal. Manchmal erinnerst du mich an meinen Vater: Er spricht auch so wenig und doch spüre ich seine Fürsorge.
Übrigens brauchst du auf diesen Brief nicht zu antworten und du musst auch nicht mit mir darüber reden. Es genügt völlig, wenn du ihn liest. Ich weiß nie, wann wir uns sehen, doch letztlich kommt es darauf nicht an, denn zwischen uns gibt es ja eine Verbindung.
Bleibe, wie du bist.
Mirjam
Unsicher und doch voller Trotz ging ich zu Salomon. Der Bote hatte den Ort des Treffens genau beschrieben. Die Stadt erholte sich gerade von der Mittagshitze, es gab keine Anzeichen für Unruhen.
Diesmal empfing mich der Kaufmann in seinem Lagerhaus in der Rashid-Straße. Als ich nach der Schule unter den Kolonnaden entlangschlenderte, fühlte ich mich inmitten all der Frauen, die unterwegs waren zu den Schuhgeschäften und zum großen Kaufhaus, wie ein Eindringling. Manche von ihnen trugen keine Abbaja, sondern lange, helle Sommerkleider und kleine Hüte, wie ich sie nur von Fotografien kannte. Bedienstete begleiteten die Damen, deren Kleidung kaum unterscheidbar machte, ob sie die Mütter oder die Töchter waren.
Ich erreichte das Lagerhaus, vor dem Salomon stand und mich erwartete. Ungeduldig zog er mich mit sich, durch das breite Tor traten wir ein in sein Reich. Die Halle lag in geheimnisvollem Licht, Holzkisten stapelten sich die Wände hinauf bis zur Decke, riesige Haufen von Säcken lagen vor der Stirnwand. Ansonsten gab es nur einen einfachen Schreibtisch, auf dem wie bei Salomons Zuhause ein
Weitere Kostenlose Bücher