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Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherko Fatah
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sie, übernahmen den Zuckerhandel schließlich fast ganz. Was war ihr Geheimnis? Ganz einfach, sie verkauften die Säcke, in denen sie den Zucker zum Markt transportierten, an eine Firma, die daraus riesige Planen für das Militär nähte. Allein mit dem Gewinn aus diesen Verkäufen waren sie in der Lage, alle anderen in den Ruin zu treiben. Danach bestimmten sie allein den Zuckerpreis.« Malik entblößte seine dunklen Zähne.
    »Und«, sagte ich, »was bedeutet das? Sie sind schlauer gewesen, jedenfalls ein paar von ihnen. Es gibt auch andere.«
    Malik streckte sich und ächzte dabei. »Sag das lieber deinen Offizieren.«
    Abdel kam heran und brachte einen Beutel Datteln. Wir aßen schweigend und planten danach in aller Ruhe den nächsten Raubzug, nach und nach traf der Rest der Gruppe ein.
    In der Abenddämmerung brachen wir auf, bestiegen das Boot und fuhren flussaufwärts, vorbei an den englischen Villen und den Regierungsgebäuden bis zu einem schmalen Abzweig, beinahe eine Rinne. Hier legten wir an und gingen in einem Lagerhaus an die Arbeit.
    Malik und ich stiegen durch die Fensterluken ein und ließen den anderen Seile hinab. Als endlich alle versammelt waren, teilte uns Malik ein. Jussuf und ich sollten den Rest des Gebäudes inspizieren.
    Die Hände schützend vor unseren Kerzenflammen, irrten wir durch einen engen dunklen Gang. Staub lag in der Luft und überall roch es vom Fluss her faulig. Das alte Haus war größer, als ich erwartet hatte, wir stießen auf mehrere Abzweigungen und trennten uns. Ich blickte Jussuf nach, bis sein schwankender Schatten aufgesogen wurde von der Dunkelheit, und in diesem Moment packte mich die Furcht. Um mich ballten sich unförmige Haufen zusammen, es waren Säcke, die ächzend nachgaben, wenn ich sie anstieß.
    Mein Gang wollte kein Ende nehmen, mit aufgerissenen Augen stand ich schließlich in einem Raum voller Kisten, von dem ein noch schmalerer Korridor abging. Vorsichtig betrat ich ihn, lauschte auf die Geräusche der anderen, doch hörte nichts außer dem ruhelos am Ufer entlangstreichenden Fluss. Ich war vollkommen allein und die Einsamkeit sprang mich an wie ein weiches Tier, drang in mich ein und zeigte jetzt erst, was sie wirklich war: Trauer. Hellsichtige Trauer um alles, was hätte sein können, wenn ich nicht gewesen wäre, der ich war, noch immer bin und bleiben muss.
    Ich kam an ein Fenster, das verziert war mit Ornamenten eines hölzernen Gitters und versuchte hinauszublicken. Die Kerzenflamme wand sich, doch wollte nicht erlöschen, über sie hinweg sah ich durch das uralte Gitter nichts, außer ein paar Lichtflecken, verloren im Dunkel. Sie dehnten sich wie Tücher im Wind, doch in Wahrheit waren sie nur Flecken auf der Haut des schwarzen Flusses.
    Ein Wispern und Kratzen ließ mich herumfahren, ich senkte die Kerze und die Augen von einem Dutzend Ratten glänzten auf. Etwas in mir war einmal frei und ist es nicht mehr, dachte ich, die Schritte, die ich allein tue, zählen nicht mehr, denn ich bin ein Gefangener, einer, der nicht für sich sein darf, weil er sich sonst erinnert. Ich eilte durch die Gänge zurück, suchte keuchend und verzweifelt die anderen, um ihnen, als ich sie endlich fand, gelassen und stolz gegenüberzutreten.
    Später am Abend hielt es mich nicht im Lager. Ich hatte meine Kräfte noch nicht verbraucht. So schlich ich fort, und da ich nicht recht wusste, wohin, ging ich den weiten Weg zum Haus der Golans. Als ich es erreichte, war ich müde und hätte am liebsten geschlafen. Doch einmal dort, schlich ich mich um die beiden neuen Wächter vor dem Tor herum und begann mit dem Klettern. Es war riskant, denn ich musste besonders leise sein, nicht nur der Wächter wegen: Die Hauswand war vom nächsten Gebäude aus sichtbar. Zunächst kauerte ich mich nieder und ließ die Nacht auf mich wirken. Ich witterte dem Wind nach, lauschte auf die kleinsten Geräusche, legte die Handflächen auf den Boden, wartete ab und rieb mir schließlich Erde auf Stirn und Wangen. Mein Herz schlug ruhig und ich glaubte, nun eingetaucht zu sein in das Innere der Nacht, ganz so wie die farblosen, in sich gekehrten Häuser und Bäume.
    Oben angekommen, bot sich mir das fast schon vertraute Bild der auf dem Dach schlafenden Familie. Ich saß auf der Mauer und versuchte Mirjam zu erkennen, doch es gelang mir nicht. Die Wächter hatten mich nicht gehört, es herrschte tiefe Ruhe und meine Muskeln entspannten sich.
    Und doch konnte ich es diesmal nicht genießen.

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