Ein weißes Land
sah ich Männer in schwarzen Anzügen, die mit rasend schnellen Bewegungen umständlich über einen Holzzaun kletterten. Kurz lenkte mich das ab von Ephraim, Munjid und der Gruppe. Die Wiederbegegnung mit ihnen war mir lästig, wenn sie jetzt auch harmlos beieinanderstanden und amüsiert lauschten.
»Das ist Bix«, sagte Ezra, »Bix Beiderbecke«, dabei wippte er leicht mit dem Kopf. Er war ganz in seinem Element, wenn er die Schallplatten, die er mitgebracht hatte, vorspielte und kommentierte. »Was meinst du, wie schwer es ist, das Zeug zu bekommen. Baba bekommt jeden Tag Lieferungen. Doch unser Mann in London kann sich keinen dieser amerikanischen Namen merken, obwohl er natürlich Englisch spricht. Aber er benimmt sich wie ein Trottel in allem, was nicht sein übliches Geschäft ist. Ich sage: Bix, Bix, Bix, und er heult ins Telefon: Ich weiß nicht, was das alles ist, verschone mich doch damit. Herrgott, er sitzt in Europa und alles, was er kennt, ist die Synagoge und sein Geschäft.«
»Was ist eigentlich mit deiner Hochzeit?«, fragte ich.
»Ja, was ist eigentlich damit«, mischte sich Mirjam ein.
»Nichts«, erwiderte Ezra ruhig, »wir sind in den Vorbereitungen, die hoffentlich besser verlaufen als bei dir, Schwesterchen.«
»Na, da mache ich mir keine Sorgen. Sie werden schon eine finden, und zur Not bekommst du eine Zehnjährige. Der kannst du deine Platten vorspielen und wenn sie nicht zuhören will, gibst du ihr ihre Puppe wieder.«
»Ist es das, was sie dir in der Mädchenschule in den Kopf setzen?« Ezra spielte den Entrüsteten.
»Nein, Handarbeiten und Fremdsprachen, das weißt du doch.«
»Was willst du?«, sagte Ezra ernst. »Es gibt die Wirklichkeit und es gibt deine Bücher. Du kannst daran nichts ändern.«
»Doch, wenn ich hier fortkönnte.«
»Fort? Wohin? Das ist unsere Heimat. Schau dich an, es geht dir gut, viel besser als irgendwo sonst.«
»Einmal müssen wir vielleicht alle daran denken«, rief Ephraim dazwischen.
Es wurde merklich stiller im Raum. Ezra wandte sich zu ihm.
»Wohin, Ephraim, wohin? Bist du jetzt ein Zionist geworden, willst du nach Palästina gehen und dich mit den Engländern und den Arabern zugleich anlegen? Dieses Land hier reicht dir wohl nicht mehr, du großer Krieger.«
»Ich sage nur, dass es vielleicht nicht ewig so weitergeht.«
»Das sagst du uns seit Jahren. Und nun, was versprichst du uns diesmal, einen kommunistischen Judenstaat?«
»Nein, aber es könnte … «
Ezra schüttelte den Kopf und fiel ihm ins Wort:
»Eine großartige Idee, ihr Taktiker. Alle Juden zusammengedrängt an einem Ort. Wartet mal, das kommt mir doch irgendwie bekannt vor.«
Ephraim war verunsichert und blickte sich zu seinen Leuten um. Khaled, der Drucker für die Flugblätter der Gruppe, sprang ihm bei:
»Er will nur sagen, wir müssen bereit sein, nicht nur die Juden.«
»Was nützt es, bereit zu sein«, sagte Mirjam. »Wenn sie wollen, werden sie uns alles nehmen. Wir sollten fortgehen, solange es noch möglich ist.«
Ihre Worte beeindruckten die Anwesenden, jeder konnte Mirjam die Resignation anmerken. Trotz einer erneuten Runde von Hatikva blieb die Stimmung so niedergedrückt, dass Ezra schließlich sagte:
»So weit ist es noch nicht. Wir müssen zuversichtlich sein.«
Khaled war ein kräftiger, untersetzter Mann von vielleicht dreißig Jahren. Unter all den jungen Leuten hier wirkte er etwas verloren. Er hielt sich stets im Hintergrund, und wenn er einmal das Wort ergriff, verhärteten sich seine groben Gesichtszüge und die Augenlider begannen zu zucken. Das Reden lag ihm nicht, er war ein Arbeiter bei der Bahn, als Einziger hier gehörte er wirklich jener vielbeschworenen Klasse an, in deren Händen die Zukunft der Menschheit lag.
Jetzt trat er an mich heran und sagte mit verschmitztem Blick:
»Ich will dir etwas zeigen.«
»Mir?«, sagte ich überrascht zu dem Mann, mit dem ich noch nie ein Wort gewechselt hatte.
»Nun geh schon«, kam es von Ephraim und, nicht ohne einen gewissen Stolz: »Er ist einer von uns, falls du es noch nicht bemerkt hast.«
Ich folgte Khaled durch die Bar hinter den Tresen. Dort öffnete er eine Tür, die so schmal und niedrig war, dass wir uns hindurchzwängen mussten. Über staubbedeckte Steinstufen ging es abwärts in einen dunklen Kellerraum. Khaled machte Licht. Das Erste, was ich erblickte, war ein altes Fahrrad, dessen Räder über dem Boden schwebten. Gleich daneben stand eine unförmige schwarze Maschine mit einem
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