Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherko Fatah
Vom Netzwerk:
von vieler Benutzung abgewetzt glänzenden Kurbelrad.
    »Das ist eine Druckmaschine«, verkündete Khaled fröhlich und stieg auf das aufgebockte Fahrrad.
    Und tatsächlich, als er zu treten begann, setzten sich über einen Riemen das Kurbelrad und die Walze in Bewegung. Khaled trat zusehends stärker und begann in der stickigen Luft des fensterlosen Raumes zu schnaufen.
    »Wenn dieser Mann auch das Radio hat«, stieß er hervor, »so haben wir noch immer das hier.«
    Mir war klar, dass er von Younis, dem Herrn der Schwarzhemden, sprach, dessen Hetzreden seit Wochen in jedem Teehaus zu hören waren. Ich hatte nicht weiter darauf geachtet, nur sein hasserfüllter Tonfall, der ihm zuweilen die Stimme versagen ließ, war mir im Vorbeigehen aufgefallen.
    Die Maschine trieb Flugblätter hervor, die säuberlich übereinandergestapelt wurden. Khaled brach der Schweiß aus, doch er schuftete weiter, als ich eines der Blätter nahm. »Arbeiter, Bauern«, stand dort in großen Lettern und, kleiner, darunter: »Lasst die Spaltung des Landes nicht zu, reißt der faschistischen Bestie die Krallen und die Zähne heraus … «
    Ich betrachtete den Rücken Khaleds, auf dem sich ein großer Schweißfleck abzuzeichnen begann. Der Ton dieser Verlautbarung alarmierte mich.
    »Ihr tut genau das, was Younis im Radio tut, ihr zettelt einen Aufstand an.«
    »Was sollen wir sonst tun?«, erwiderte Khaled. »Wir zahlen mit gleicher Münze zurück.«
    »Nein«, sagte ich niedergeschlagen, »ihr droht nur. Zahlen müsst ihr später.«
    »Wir kämpfen, wir tun etwas«, sagte Khaled schnaufend.
    Ich wusste, wie sehr er es genoss, etwas zu tun gegen den Druck, den jeder hier verspürte, wusste, dass die Gewissheit dieses Mannes viel mit seinem Körper und nur wenig mit den Parolen auf dem Papier zu tun hatte. Es war wie bei mir: Wenn ich kletterte, gab es keine Fragen mehr. Ich legte ihm die Hand auf die inzwischen nasse Schulter und sagte:
    »Lass uns wieder hinaufgehen zu den anderen. Heute hast du frei.«
    Als die meisten bereits gegangen waren, sprach ich Ezra nochmals an. Wir waren im Park auf dem Weg zum Auto.
    »Ephraim hat vielleicht recht«, sagte ich.
    »Du kennst ihn doch, er lebt in seinen Träumen«, wiegelte Ezra ab.
    »Heute hat er mich nicht nur nach Gewehren gefragt. Er wollte Granaten. Das ist gefährlich, Ezra. Für euch alle. Ihr seid nicht unbeobachtet.«
    Ezra dachte nach. Der kühle Nachtwind strich über uns hinweg, wir fröstelten. Über uns knisterte es in den harten, messerscharfen Blättern einer Dattelpalme. Mirjam stand keine drei Meter entfernt, wartete jedoch geduldig. Um uns erhob sich ein Gewirr feiner Geräusche. Es war tatsächlich, wie die Alten sagten: Der Hain belauscht niemanden, weil er selbst flüstert.
    »Obwohl er dich mit diesem Räuber gesehen hat, glaubt er, dir vertrauen zu können.« Ich sah es nicht, spürte aber, dass Ezra lächelte. »Er meint, du seist ein heimlicher Bewunderer, eine Art verlorener Sohn der großen Idee.«
    Ich näherte mich ihm. »Ich würde ihn ans Messer liefern, du weißt das«, sagte ich und zog meinen Kopf wieder zurück. Ich blickte zu Mirjam, die in ihrer Abbaja aussah wie eine alte Frau.
    Ezra brauchte eine Weile, bis er antworten konnte. »Und ich? Was ist mit mir, würdest du mich auch ans Messer liefern?«
    Ich zögerte mit der Antwort. Es war nicht viel, was uns verband, im Grunde nichts. Und das war, was ich am meisten bedauerte, als ich sagte:
    »Nein, dich nicht.«
    »Versprichst du es?« Ezra legte mir die Hand auf die Schulter.
    Nie war mir seine Schwäche so bewusst geworden wie jetzt; meine eigene, neu erlangte Stärke trennte uns.
    »Ich verspreche es«, sagte ich.

4.
    D amals kletterte ich regelmäßig. Es war der einzige Weg herauszukommen aus dem, was mich umgab und was ich nicht verstand, obwohl ständig jemand versuchte, mir die Dinge zu erklären. Aber je mehr Worte sie darüber machten, desto verworrener wurde alles. Wir hatten nach dem Tod des jungen Königs eine neue Regierung. Und plötzlich verstummten die Hetzreden im Radio. Für eine kurze Zeit schienen weder die Engländer noch die Juden unsere Feinde zu sein. Es gab einfach keine Feinde mehr, stattdessen ertönte im Radio Musik. Die Offiziere trafen sich natürlich weiterhin. Doch auch bei ihnen war eine gewisse Ruhe eingekehrt, als hätten sie alle ihren Zorn überwunden oder würden ihn zumindest verstecken.
    Mir gefiel es so. Seit dem Abend im Park, als Ezra mir das Versprechen abnahm,

Weitere Kostenlose Bücher