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Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherko Fatah
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Eine ungeheure Müdigkeit überkam mich, ich begriff, dass ich unmöglich noch zurück ins Lager gehen konnte. Ein krampfartiges, nicht enden wollendes Gähnen ließ mich beinahe von der Mauer fallen. Ich stieg auf das Dach hinab und hielt Ausschau nach einem geeigneten Versteck, hatte aber keine Kraft, lange zu suchen. Zwischen zwei Wassertanks fand ich ausreichend Platz, um mich hinzulegen. Ich schloss die Augen und dachte kurz an Salomon Golan, doch es war mir egal, ob ich hier entdeckt wurde. Ich habe nichts getan, dachte ich, außer hier heraufzusteigen – selbst die Katzen dürfen das.
    Stechendes Sonnenlicht weckte mich. Ich spürte meinen Rücken und die Arme waren schwer, als wäre ich im Schlaf weitergeklettert. Ich roch den Staub unter den Tanks, sah Käfer und Fliegen um mich. Ruckartig erhob ich mich und saß benommen da, die Sonne brannte mir in den Nacken. Da sie tief stand, konnte es noch nicht spät sein. Ich rutschte nach vorn und spähte nach den anderen. Doch die Familie hatte das Dach mitsamt dem Bettzeug schon verlassen, in langen Lichtflächen standen die leeren Bettgestelle. Es war ein trostloser Anblick.
    Vorsichtig kroch ich hinter den Tanks hervor. Ich blieb auf allen vieren, damit mich von den anderen Häusern aus niemand sehen konnte, und näherte mich der Tür des Treppenturms in der Mitte des Daches. Sie war nicht verschlossen, ein leichter Stoß genügte und ich war im Haus.
    Schon vom Treppenabsatz aus hörte ich Salomon. Er war offenbar verärgert, seine Stimme hob und senkte sich, als würde er jemandem predigen. Ich setzte mich auf und nahm Stufe um Stufe der eisernen Wendeltreppe, ließ mich vorsichtig auf jeder einzelnen nieder. Die Stimme wurde lauter und ich begann zu verstehen, worüber Salomon sprach. Offenbar erwarteten sie an diesem Tag den Besuch nicht nur eines weiteren Heiratsvermittlers, sondern auch der Mutter des möglichen Bräutigams. Mirjam schien unwillig gewesen zu sein, denn Salomon sagte:
    »Es ist die Tradition, du musst es tun. Sie hat ein Recht, dich zu sehen, es geht immerhin um ihren Sohn. Versteh doch, wir müssen eine Lösung finden. Du kannst nicht ewig hier herumsitzen. Was willst du tun? Die Schule ist vorbei, es gibt nichts mehr, was du lernen könntest.«
    »Du führst mich vor wie ein Stück Vieh«, erwiderte Mirjam, ihre Stimme klang ungewohnt dünn. »Aber ich bin ein Mensch.«
    »Du bist ein Mensch, du bist ein Mensch – was bedeutet das?« Mirjams Mutter hatte das Wort ergriffen, und sie war noch erboster als Salomon. »Hat jemals jemand davon gelebt, ein Mensch zu sein? Was soll das heißen? Sag es mir. Steht das in deinen Büchern? Du bist eine Frau und hast einen Platz in dieser Welt.«
    Mirjam schluchzte hilflos. Ich versuchte, sie durch die Zwischenräume der Stufen zu sehen, doch es gelang mir nicht.
    Ihre Mutter beruhigte sich etwas. »Was stellst du dir vor? Willst du im Hagouli-Atelier mit den anderen Unverkäuflichen von Handarbeiten leben? Willst du dort den Rest deiner Tage verbringen und Fremden die Brautkleider nähen, während du selbst allmählich verdorrst? Stell es dir vor, mein Kind, du wirst lächeln müssen und dabei einsam sein. Das mag keine Schande sein für diejenigen, die übrig bleiben und sich so wenigstens nützlich machen können. Aber wir brauchen das Geld nicht. Du brauchst es nicht, du bist schön, du bist klug und es gibt noch immer Interessenten.«
    So ging es noch eine Weile, bis sich Mutter und Tochter schließlich zurückzogen. Ich blieb, wo ich war, denn inzwischen musste es auf dem Dach so heiß sein, dass sicherlich niemand heraufkommen würde. Jedoch hörte ich das leise Klirren von Salomons Teetasse und bekam allmählich Hunger.
    Nach etwa einer Stunde kam der Heiratsvermittler an, zusammen mit der Mutter des noch unbekannten Bräutigams und einer weiteren Frau. Ich konnte sie recht gut sehen, als sie in den unter mir liegenden Raum traten. Der Vermittler war ein junger, westlich gekleideter Mann von zur Schau gestellter Freundlichkeit. Beinahe jeder Satz, den er von sich gab, enthielt eine Schmeichelei. Er pries zunächst das Haus, in dem er sich befand, und gleich darauf den Hausherrn. Offenbar wollte er die Frauen beeindrucken, die gerade ihre Abbajas ablegten und noch kein Wort gesagt hatten. Salomon reagierte mit den üblichen Höflichkeiten und rief nach seiner Ehefrau. Als alle beisammen waren, gingen sie in den Gästeraum und ich konnte sie nicht mehr hören.
    Kurz überlegte ich, was ich tun

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