Ein weißes Land
sollte, und entschloss mich, das Haus zu verlassen. Der sicherste Weg war der, den ich gekommen war. Also kroch ich auf das Dach zurück, verschnaufte kurz in der glühenden Hitze und stieg dann über die Mauer. Der Abstieg dauerte wie immer lange, jeden wohlüberlegten Griff und Tritt tat ich zunächst auf Probe, bevor ich mich entschied. Da ich jedoch oben gesehen werden konnte, war ich bemüht, so schnell wie möglich auf die Höhe der Wacholderbäume hinabzusteigen, die diese Seite des Hauses vor direktem Sonnenlicht schützten.
Alles verlief gut, bis ich eine Öffnung in der Wand entdeckte, schmal wie eine Schießscharte und nur zur Belüftung gedacht. Meine Wange kam direkt darauf zu liegen, ich drehte den Kopf mühsam so, dass meine Nase in den Zwischenraum rutschte, hörte nur meinen eigenen stoßweisen Atem und fühlte, wie mir die Hände erstarrten.
Durch die Spalte hindurch sah ich die beiden Besucherinnen und Mirjam, die ihnen ihre nackten Arme zeigte. Die Frauen untersuchten die Haut gründlich von allen Seiten und überstrichen sie mit den Händen. Sie gaben Mirjam ein Zeichen, worauf diese die Schultern entblößte. Aufmerksam wurden nun Hals und Brust betrachtet, sodann Mirjams Haare beiseitegestrichen, um hinter ihre Ohren schauen zu können. Ich wusste gleich, dass sie nach Anzeichen für die Entzündung suchten, unter der viele Bagdadis litten. Ein Insektenstich löste sie aus und verwandelte die Haut fleckenweise in ein Narbengewebe. Viele versuchten den Ausschlag zu verstecken, doch nach einiger Zeit konnte er das Gesicht befallen – im Falle einer Braut zur grausigen Überraschung des Bräutigams. Die Legende sagte, die Ärmeren würden es vererben und so die Minderwertigkeit ihres Blutes zeigen. Die Reichen wussten es besser.
Ich wollte Mirjam noch länger betrachten, doch ich hatte zu lange in dieser Position verharrt, musste mich keuchend in Bewegung setzen. Eine der Frauen ließ von Mirjam ab, eilte heran und schrie mit vor Schreck verzerrtem Gesicht auf, als sie mich sah. Ich stieg weiter ab und hoffte inständig, dass Ezra zu Hause war.
Kaum war ich am Boden angelangt, hatten die alarmierten Wächter das Haus auch schon umrundet und standen vor mir. Einer packte mich am Kragen und schlug mir seine Faust ins Gesicht. Er ließ mich los und ich fiel zu Boden. Der andere Wächter trat auf mich ein, winselnd krümmte ich mich zusammen, mein Mund füllte sich mit Blut, bis ich es ausspucken musste.
»Hundesöhne«, stieß ich dabei hervor.
»Komm«, sagten sie, stellten mich auf die Beine und zogen mich wie einen ungezogenen Jungen hinter sich her.
Mein erster Impuls war, nach ihren Armen zu greifen und sie von mir zu stoßen, doch es war sinnlos und so stolperte ich zwischen ihnen ins Haus.
Mirjam, ihre Eltern und die Gäste standen vor mir, als der Wächter meinen Kragen endlich losließ. Salomon schien weniger überrascht zu sein als Mirjam, die ihre Hand vor den Mund gelegt hatte und vor Scham errötet war. Die Frauen beschimpften mich lautstark, bis Salomon ihnen Einhalt gebot.
»Was tust du hier?«, fragte er und stellte sich schützend vor mich.
Ich konnte kein Wort herausbringen, wollte Stolz zeigen, doch fühlte mich schwach. Unvermittelt trat Mirjam vor und wies auf mich.
»Es ist schon gut. Ich habe ihm einmal gesagt, er kann zu uns kommen, wenn er nicht weiß, wohin. Er ist ein Freund.«
Empört fuhren die übrigen Frauen auf und redeten durcheinander, selbst der Heiratsvermittler tat entsetzt.
»Er wollte einbrechen, er ist ein Dieb.«
»Stimmt das?«, fragte Salomon.
Ich zwang mich zu reden und erklärte stotternd, dass ich auf dem Dach geschlafen hätte. Niemand wollte mir glauben, doch Salomon hob die Hand, schickte die Wächter hinaus und schob mich in den hinteren Teil des großen Raumes. Alle folgten uns in gebührendem Abstand.
»Magst du dieses Haus?« Salomon blickte mir in die Augen. »So sehr, dass du dich hereinschleichen musst?«
»Nein«, sagte ich.
»Warum bist du dann hier? Ich hatte dir gesagt, dass du dich fernhalten sollst.« Er wartete ab. »Hast du kein Zuhause, wo du schlafen kannst?«
»Nein«, stieß ich trotzig hervor.
Salomon trat einen Schritt zurück, seufzte und blickte sich im Raum um. »Es zieht dich hierher«, sagte er nachdenklich. »Du kannst nicht bleiben, wo du hingehörst. Oder glaubst du gar, dass du hierhergehörst?«
Langsam, fast unsicher nahm er seinen Fez vom Kopf. Alle schrien auf und sogar ich hielt die Luft an, denn
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