Ein weißes Land
dies war von alters her eine Geste der Verzweiflung. Salomon drehte den Fez in seinen Händen und zeigte mir das mit Samt ausgeschlagene Innere.
»Fass hinein«, sagte er, »los, fühle den Stoff.«
Ich mochte den Mann mit seinen ungewohnt vom Kopf abstehenden grauen Haaren nicht anschauen. Er erniedrigte sich vor mir, jedoch auf eine Weise, dass ich der Beschämte war. Ich griff in den Fez und fühlte unter dem Samt etwas Hartes. Es verlief rundherum wie ein breiter Ring.
»Du denkst, wir würden hier tagein, tagaus sicher und friedlich leben. Aber das ist die Wahrheit: Kupfer. Schon mein Großvater hat seinen Fez so getragen, aus Angst vor den Schlägen von hinten oder aus dem Dunkel. Du weißt, wir dürfen keine Waffen tragen, wir dürfen uns nicht wehren. Das«, er hielt den Fez in die Höhe und wies mit der anderen Hand zur Zimmerdecke, »und das sind meine Waffen.«
Salomon ließ mich gehen. Ich war verwirrt, und auch die Scham trug ich weiterhin mit mir. Was ich getan hatte, hätte in den Augen vieler genügt, um mich ins Gefängnis zu werfen. So, durch die Großmut Salomons, davonzukommen, war eine Beleidigung für mich. Mehr noch als ohnehin schon fühlte ich mich als ein Herumtreiber, nicht einmal den Aufwand wert, angemessen bestraft zu werden. Immer wieder sah ich Mirjam in jenem Zimmer vor den beiden Frauen stehen, versuchte dieses durch die Maueröffnung zusammengepresste Bild in mir wachzuhalten, sah ihre schmalen Schultern, die vor der Brust verschränkten Arme und ihren langen, mager wirkenden Hals. Ich fragte mich verschämt, ob sie mir eigentlich gefiel, nachdem ich sie so gesehen hatte. All das aber war überschattet von dem sicheren Gefühl, unwürdig zu sein, weil ich wie ein Tier an der Wand gehangen und mir diesen Anblick gestohlen hatte. Mir fehlt Maliks Stärke, dachte ich zerknirscht, auch wenn ich frei bin, ich kann nicht stolz sein auf das, was ich tue.
5.
N ach dem Tod des jungen Königs Ghazi übernahm Premierminister Nuri as-Said die Kontrolle. Obwohl er ein Mann des Ausgleichs war, anerkannte Nidal seine staatsmännische Weitsicht. Wenn er über den Premier redete, hatte ich den Verdacht, dass Nidal sogar stille Bewunderung für ihn hegte. Er äußerte sie nie laut, konnte sie aber auch nicht ganz verbergen. Einmal, er hatte bereits zwei Whisky getrunken, während ich noch den Boden des Offiziersclubs von Kürbiskernschalen reinigte, wagte ich, ihn direkt danach zu fragen.
Nidal lehnte sich zurück und prustete, als hätte er Probleme mit dem Atmen.
»Du hast ein scharfes Auge. Ja, er ist eigentlich ein guter Mann, weil er eine klare Politik vertritt. Wir können ihn nicht unterstützen, denn er ist pro-britisch. Aber er weiß, was er tut, im Gegensatz zu vielen anderen hier. Er ist kein Wirrkopf, der politischen Fantasien nachhängt. Er setzt auf die Briten, die Offiziere und das gesamte Militär aber auf die Deutschen. Das ist das Problem.«
Ich hörte bei solchen Gelegenheiten aufmerksam zu und versuchte, so viel wie möglich aus Nidal herauszubekommen. Auch wenn ich dabei putzen musste, war dies meine vielleicht letzte Möglichkeit, noch etwas zu lernen über eine Welt, die sich immer weiter von mir entfernte, obwohl ich so nah bei den Leuten war, die sie, davon schienen alle überzeugt, alsbald beherrschen würden.
Einer der Gründe für diese Überzeugung lag im Erscheinen des Großmuftis von Jerusalem in Bagdad. Öfter hörte ich die Offiziere ehrfurchtsvoll über diesen Mann sprechen, der in Palästina eine Reihe von Anschlägen auf Juden organisiert hatte. Obwohl er ein Geistlicher war, konnte ich ihn mir nur als eine Art Abenteurer vorstellen, der durch die Welt zog, immer neue Gefolgsleute suchte und Bündnisse schloss. Er pflegte gute Beziehungen sowohl zu den Deutschen als auch zu unseren Anführern, den obersten Stabsoffizieren hier, die wir hinter vorgehaltener Hand nur das »Goldene Viereck« nannten.
Mit dem Auftauchen des Großmuftis in Bagdad erschienen in den Auslagen der Shops gerahmte Fotos von ihm, und jedem, auch dem Premier Nuri as-Said, musste klar sein, dass der Großmufti früher oder später die Macht im Land übernehmen würde.
Im Club lernte ich eines Tages einen Schwarzhemden kennen, der 1938 den Reichsparteitag in Nürnberg miterlebt hatte. Die Offiziere ließen ihn reden, und der junge Mann stammelte zunächst vor sich hin, bevor ihm echte Begeisterung Haltung und Rede straffte. Er war mit einer Gruppe Kameraden von einem Deutschen mit dem
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