Ein weißes Land
Namen Baldur eingeladen worden, als dieser vor ein paar Jahren Bagdad besuchte. Der Junge erzählte von der kurzen militärischen Unterweisung, die sie bekommen hatten, und von dem riesigen Spektakel, das sie dann erlebten. Die Erde schien sich aufgetan und Soldaten ausgespuckt zu haben, Massen von Soldaten, die in Blöcken antraten, um der donnernden Ansprache des in der Ferne winzigen Führers zu lauschen. Er berichtete von der endlosen Panzer - und Geschützparade an einem schönen, von Vogelgezwitscher erfüllten Tag im September, von Berittenen mit federgeschmückten Helmen, von den unzählbaren Fahnen, die überall in der Stadt wehten, und von dem großen Hakenkreuz, das über dem Hauptportal des Domes prangte. Mehrmals schielte er zu seinem eigenen Führer Younis hinüber, der zustimmend nickte und ihn immer wieder aufforderte fortzufahren. Die Anwesenden waren ebenso angetrunken wie begeistert und fragten nach Einzelheiten.
»Ist es eine neue Religion?«, rief einer in den Raum, und der Redner bejahte. »Welchen Gott haben sie?«
Ratlos blickte der Junge zu Younis.
Nidal zog mich zu sich und knurrte verschwörerisch:
»Ich kenne noch eine andere Geschichte. Es geht das Gerücht, dass Rashid Ali in Berlin war und die Deutschen ihn am Gehirn operiert haben.« Er lachte trunken auf. »Sie sollen ihm etwas eingepflanzt haben, das durch seinen Mund herauskommt und andere ansteckt. Der Großmufti hat es auch.«
»Was ist es?« Ich sah Frankensteins Monster vor mir und war ehrlich entsetzt.
»Judenhass«, sagte Nidal grinsend.
Younis hatte ihn gehört, sprang auf und kam zum Tisch. »Du trinkst zu viel, Nidal, und du redest zu viel. Die Deutschen schaffen etwas. Es ist gewaltig, wie du hören kannst, und niemand, auch nicht ein Säufer wie du, kann es ignorieren. Die Engländer zittern vor ihnen, die Welt zittert vor ihnen.«
Nidal hob den Arm und schüttelte den Kopf.
»Schon gut, ich zittere auch vor ihnen«, sagte er laut. Alle schauten verständnislos zu ihm, bis er die Arme breitete und hinzufügte: »Es kommt doch darauf an, was sie für uns tun können, wenn sie erst einmal hier sind.«
Younis war die Lust auf eine Diskussion vergangen.
»Sie werden kommen, schon bald, und dann wirst du sehen, was sie für uns tun können«, sagte er drohend. »Und du«, wandte er sich an mich, »solltest darüber nachdenken, ob du für den Rest deines Lebens Tische wischen und dir solchen Unsinn anhören willst. Es gibt bessere Aufgaben für dich.«
Dabei ließ er es bewenden, doch ich wusste sofort, dass sich nun endlich auch für mich ein Weg eröffnete.
Als ich nach diesem Abend wie fast immer spätnachts nach Hause kam und durch das traurige, leere Haus schlich, hielt mich die Aufregung nicht im Bett. Ich stand in den dunklen Räumen und blickte aus den Fenstern, ohne etwas zu sehen. Ich wollte das Feierliche des Augenblicks empfinden, doch mich umgab nur die Traurigkeit des Abschieds.
Vater entwickelte sich mehr und mehr zu einem Einsiedler. Es war ihm ohnehin nie gelungen, eine neue Frau für sich zu finden, doch möglicherweise wollte er das auch gar nicht. Er hätte an allem etwas auszusetzen gehabt, hätte sie herumgescheucht wie seine Tagelöhner, und war wohl einfach klug genug, das vorauszusehen. Doch das Ergebnis war diese trostlose Wohnung, in der man keine Stunde des Tages verbringen wollte, weil sie nur Schlafstätten bot für zwei Männer, die sich kaum noch etwas zu sagen hatten.
In jener Nacht aber wollte ich mit Vater sprechen und so weckte ich ihn, was ich normalerweise nie getan hätte. Ich erzählte ihm von Younis’ Andeutungen und wartete gespannt auf eine Antwort. Vater trank ein Glas Wasser und blickte mich verschlafen an. Er überlegte lange, schließlich aber schien er sich selbst davon überzeugt zu haben, dass es mit seinem Sohn nun tatsächlich aufwärts ging.
»Was immer er mit dir vorhat«, sagte er, »stell nicht zu viele Fragen. Diese Leute haben Geheimnisse, und meistens ist es besser, wenn man sie nicht kennt. Befolge einfach die Anweisungen.« Er rieb sich die unrasierte Wange und blickte mir nachdenklich in die Augen. »Keiner weiß, was kommen wird.«
Malik hingegen blies nur die Wangen auf, als ich ihm von den politischen Entwicklungen berichtete, über die im Club gesprochen wurde. Je mehr sich die Ereignisse beschleunigten, desto weniger Interesse hatte der Dieb dafür. Er fürchtete die Veränderung. Mir erschien er wie ein alter Mann, der, anstatt
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