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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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revisionistische Mathilde hören, doch Hoftaller war nicht abzulenken: »Darüber reden wir später, vielleicht. Heute wollen wir uns auf den Besuch aus Frankreich vorbereiten. Wirklich, ne niedliche Person. Habe nicht zuviel versprochen. Ihr Deutsch ist vorzüglich. Redet wie gedruckt. Keine Bange, Fonty, Sie werden Ihr Etappenfranzösisch kaum bemühen müssen. Wird Ihnen Freude machen, Ihre Enkeltochter, von mir aus heimliche Freude. Schon morgen, Wuttke, wird Ihnen das Herz hüpfen …«
    Wir hätten das mit größerem Abstand genießen sollen; doch gleich aus welcher Entfernung gesehen: Nathalie Aubron, die aber auf den Vornamen ihrer Großmutter hörte, war wirklich reizend. Klein bis zierlich, mal lebhaft burschikos, dann wieder still, ganz Ohr, dabei ungekünstelt naiv und dennoch von jener mitteilsamen Klugheit, die zum Gespräch einlud und die Fonty sogleich als einladend für eine Ruderpartie empfand; selbst wir vom Archiv hätten gerne mit Madeleine in einem Kahn gesessen, so gewinnend, nein anziehend überbrückte sie alle Distanz. Als Fonty ein wenig verfrüht zum Bootsverleih kam, nutzte er die Zeit, um seinen leichten Sommershawl, den er sonst achtlos trug, gefälliger zu drapieren: Das Schottenmuster sollte zur Geltung kommen. Dann ging er auf und ab und sprach im Gehen halblaut vor sich hin, als wollte er Begrüßungssätze erproben, zum Beispiel diesen: »Spät sehen wir uns, doch nicht zu spät.« Oder: »Darf ich unsere überraschende Begegnung als ein Herbstgeschenk werten?« Oder: »Mademoiselle, daß Sie sich wie Ihre liebenswürdige Großmutter Madeleine nennen, ruft in mir schöne, aber auch schmerzliche Erinnerungen wach.« Doch als dann plötzlich Hoftaller vor ihm stand und neben dem Vermittler des familiären Treffens »La petite« als eine augenblicklich alle Vorängste besiegende Person, die überdies mit hellem »Bonjour Monsieur!« und drei wie selbstverständlichen Wangenküssen keine zurechtgelegten Begrüßungssätze zuließ, fiel Fonty nur ein, wiederholt »Da bist du ja, Kind« zu sagen. Dann suchte er ihr Gesicht ab und sie seines. Bald war Hoftaller überflüssig. Zwar stand er noch eine Weile herum, und wir genossen seine Verlegenheit, doch ging er wie auf Befehl, nachdem ihn Fontys Enkeltochter höflich, aber bestimmt verabschiedet hatte: »Ich bin Ihnen sehr verbunden, Monsieur Offtaler, daß Sie mir den Weg zu meinem Großvater eröffnet haben. Gleichfalls empfinde ich Ihre Diskretion als lobenswert: In Montpellier ist man ahnungslos. Das ist gut so. Mama, die noch immer ein wenig bekümmert ist, sollte geschont werden. Man muß ja nicht alles – wie sagt man – an die große Glocke hängen, nicht wahr? Doch nun möchte ich Sie um Verständnis bitten, Monsieur. Herr Wuttke und ich haben einander sehr viel zu erzählen.« Wir glauben, daß Hoftaller gerne ging. Er wußte ohnehin genug. Indem er ging, hinterließ er keine Lücke; und Fonty, den wir uns nur schwer ohne Tagundnachtschatten vorstellen konnten, war glücklich, mit seiner Enkeltochter allein zu sein.
    Als hätte es keine andere Wahl gegeben. etwa einen Spaziergang durch den Tiergarten zur Rousseau-Insel, lud er mit stummer Geste zur Ruderpartie ein. Und Madeleine, die als erste ins Boot sprang, bot ihm beim Einsteigen ihre kleine, kindlich anmutende Hand. Mit einer Kavaliersgeste. dabei ein wenig schauspielernd, bedankte er sich. Madeleine saß schon auf der Ruderbank, als sie schulmädchenhaft um Erlaubnis nachfragte: »Bitte, Monsieur, darf ich rudern? Ich kann das ganz gut.« Ein schönes Bild, vom Ufer aus gemalt. Bei lockerer Bewölkung wechselte das Licht. Farbtupfer, Schattenspiele, wässerige Übergänge, wie aquarelliert. Ab und zu rillte ein Windstoß die Wasserfläche, dann wieder Spiegelungen. Erste Blätter fielen verfärbt. Libellen über Entengrütze. Schon öffnete sich der See. Zu zweit im traumhaft gleitenden Kahn, dem, wie bestellt, ein Schwanenpaar begegnete. Und immer neue Bildausschnitte erlaubte das Ufergebüsch. Außer den gemalten Motiven war zu sehen, daß Madeleine nicht aschblond war, sondern wirbelig kastanienbraun; der kurzgehaltene Schopf hob sich vom fusselnden Weißhaar Fontys, der seinen Hut neben sich gelegt hatte, einprägsam ab, besonders wenn das Boot durch Lichtkringel glitt. Ihr kleingeblümtes Kleid, ein geräumiger Hänger, in dem sich die knäbische Figur verbarg, gab ein überwiegend blaues Signal. Nur wenn sie die Ruder durchzog, traten, kaum angedeutet, die Brüste

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