Ein weites Feld
zahlen, machen wir noch ein Faß auf … Na, die Normannenstraße! Ist doch genügend im Keller, ne Menge Zeug, kilometerlang Akten … Operative Vorgänge, Informantengesabbel, Bettgeflüster, abgeschöpft alles … Und zwar gesamtdeutsch … Muß sich auszahlen endlich … Und wir? Wir sind weg und machen uns doch nützlich, wissen genau, wo was liegt und leis vor sich hin tickt … Will man jetzt überall: die große Offenheit! Ne neue Ehrlichkeit! Wahrheit nackt sozusagen. Machen wir: na, die Vergangenheit ans Licht bringen … Ha! Sollen sie haben! Können sie kriegen! Auf die Hand gratis und gegen bar … In kleinen und großen Portionen. Nein, nicht alles auf einmal. Wir füttern sie häppchenweise … Sind doch ganz geil drauf. Deutschland soll wieder sauber werden … Wird es, Wuttke! Wird es. Einig und sauber! Ha! Und gleichgemacht West wie Ost. Was wir im Prinzip immer gewollt haben … Endlich wird unser Deutschland sauber …«
Wir hören hier auf, weil Hoftaller an dieser oder an späterer Stelle seiner Rede beim Rudern die Riemen sinken, das Boot treiben ließ. Ob vermutet oder tatsächlich: Schweiß fiel ihm von der Stirn. Er zog sich die Kappe ab: verschwitzte Haarspieße. Seine Zigarre hatte er kalt und als Stummel bald nach Beginn der Rede ausgespuckt. Nun suchte er unter der Ruderbank und zwischen den Ritzen des Lattenrostes auf dem Bootsboden nach dem Rest seiner Kubanischen. Er suchte und suchte. Wir tippten auf momentane Erschöpfung. Fonty, der bei gleichbleibender Haltung und wie unbewegt Zuhörer gewesen war, stand auf, holte die Ruder ein, weil beide Riemen gefährlich locker in den Dollen lagen, und setzte sich wieder ans Heck. Bei all dem schwieg er, hätte aber Beifall klatschen oder den Kopf schütteln und den Dritten Weg verteidigen können; doch er schwieg. Vom Ufer aus gesehen, war das Wichtigste vorbei. Als Hoftaller endlich den Zigarrenstummel fand und sich Feuer gab, lag das Boot ruhig und trieb kaum noch. Jetzt erst, nachdem er den Hut abgelegt hatte, sagte Fonty: »So wird es kommen, so oder ähnlich. Niemand siegt ungestraft. War siebzigeinundsiebzig nicht anders. Deutsche Einheit ist immer die Einheit der Raffkes und Schofelinskis. Nur gab es damals den vierten Stand, die Arbeiterklasse. Da war noch Hoffnung drin. Jedenfalls sah es so aus. Und doch müssen wir uns auch heute beglückwünschen, daß es kam, wie es kam, selbst wenn die alte Frau von Wangenheim sagte …« Dann stand er abermals auf und legte Hoftaller, der noch immer in Schweiß war, einen wiederholten Platzwechsel nahe. Der Tagundnachtschatten gehorchte. Wie geübt standen sie einander gegenüber, umarmten sich, tauschten den Ruderer aus, langsam, trittsicher, denn das Boot schwankte kaum. Da uns dieses Bild als Tanz auf der Stelle vertraut war, hielten wir uns vom Ufer aus an andere Boote. Wir hörten Lärm und Gelächter, das weithallend über der Wasserfläche lag, sahen das Schwanenpaar fern, nah mehrere Enten. Und dann vergnügten wir uns an einem einzelnen Ruderer, den auch Fonty apart gefunden hätte, denn der junge Mann – er trug Brille, war vielleicht Student – hatte auf der Heckbank seines Kahns eine Kamera mit Selbstauslöser in Anschlag gebracht. Vor wechselndem Hintergrund war er sich, als rudernder Brillenträger, einen und noch einen Schnappschuß wert. Wir glaubten, das Klicken zu hören. Zwischen Hoftaller und Fonty kam es zu keinen Bekenntnissen mehr. Nichts Vergangenes wollte hochkommen. Die Bootspartie war zu Ende. Mit ruhigen Schlägen steuerte Fonty in Richtung Anlegesteg. Ich hatte gehofft, er werde einen der verschwiegenen Seitenarme des Sees anrudern und dort die verschattete Stelle finden, an der gestern noch ein zerrissenes und obendrein scharlachrotes Kleid von einer Gewalttat, womöglich von einem Mord gezeugt hatte; doch Fonty wollte seinem Tagundnachtschatten um dieses Geheimnis vorausbleiben. Kaum waren sie ausgestiegen, sagte Hoftaller, der nun wieder unterhalb trockener Stirn lächelte: »Übrigens gibt’s ne Überraschung. Besuch ist da. Kommt aus Frankreich. Dreimal dürfen Sie raten. Na? Will der Groschen nicht fallen? Um Sie nicht länger auf die Folter zu spannen, es ist Ihre niedliche Enkeltochter, die studienhalber, aber auch privat … War entzückt, ihr nach längerer Korrespondenz wieder zu begegnen. Heißt eigentlich Nathalie, will aber Madeleine genannt werden, nach der Großmutter natürlich. Hat vor, das Archiv zu besuchen, möchte aber vorher unbedingt
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