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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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ihren Opa treffen. Hat irgendwas mitgebracht, ne Kleinigkeit, ein Geschenk womöglich. Was ist denn los, Wuttke! Geben Sie sich nen Ruck. Die Kleine ist wirklich reizend. Freuen sollten Sie sich, frohlocken, von mir aus Hosianna rufen. Was soll das Gezitter! Wenn Sie wollen, mach ich für morgen ein Treffen aus. Nur nicht so ängstlich. Ihre Emmi hat keinen blassen Schimmer, wie sollte sie auch …« Fonty stand heimgesucht, als hätte ihn ein Erzengel berührt. Nichts, auch kein scherzhafter Hinweis auf literarische Belege für spätes Glück, etwa auf Marlitt-Romane, konnte sein Erstarren auflösen. Plötzlich beschloß er, für die Bootsfahrt zahlen zu wollen, doch Hoftaller hatte schon alle Unkosten gedeckt: »Geht auf Spesen, Wuttke. Also was ist nun? Na, endlich gelingt uns ein Lächeln. Wurde auch Zeit. Sagen wir, morgen vormittag um zehn rum. Gleiche Stelle, gleiche Welle. Rudert sicher gern, die Kleine. Und das Wetter, hab ich gehört, bleibt stabil.« Sie haben dann noch im Café am See unter Kastanien ein Bier getrunken. Unklar blieb, wer wen zum Bier eingeladen hat. Uns kümmerte das nicht mehr.

21 Beim Rudern geplaudert
    Die vielen Mädchen: Magdalena, Lene, Madeleine. Eigentlich sind wir überfragt, denn nur zur Weißnäherin mit Plätteisen, die zu Buche schlug, gibt das Archiv etwas her; was Dresden und die Folgen betrifft, müssen wir auf Lücken verweisen: Die Familie, Mete voran, hat alle Spuren, falls es sie gab, umsichtig getilgt. Man wollte den Unsterblichen schlackenlos überliefern. Außer dem Brief an Bernhard Lepel, in dem über »zu große Lendenkraft« und Alimente im wiederholten Fall geklagt wird, zudem Dresden als Tatort ausgewiesen ist, liegt nichts vor. Und im Fall Lyon und die Folgen waren wir ganz und gar ohne Kenntnis. Aber Theo Wuttke schleppte eine Gewissenslast, sonst hätte Hoftaller ihn nicht so andauernd am Wickel haben können; und weil er als Fonty zu uns gehörte, mehr noch, der lebendigste Beweis unserer papierenen Materie war, fiel dem Archiv eine Aufgabe zu, die nicht durch Stubenhockerei bewältigt werden konnte. Wir mußten ins Grüne. Gleich Hoftaller war uns Außendienst vorgeschrieben. Wie Spanner hockten wir im Gebüsch oder hinter glatthäutigen Buchenstämmen versteckt. Man löste sich ab. Man gab das Belauschte weiter: Notate für später. Am nächsten Vormittag sollte ich zuständig sein. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die angekündigte Begegnung mit der französischen Enkeltochter uns mehr als den Großvater überrascht hat; dessen Gesicht gab, als er von der allerneuesten Madeleine hörte, wenig zu erkennen. Allenfalls durfte, nach erstem Erschrecken, leichte Vorfreude vermutet werden. Schließlich waren seine Söhne ohne Nachkommen, und von Martha und ihrem späten Grundmann konnten kaum Kinder erwartet werden. Es gab keine kleinen Wuttkes. Nun aber kam Nachricht aus einem fernen, doch nicht fremden Land. Zuerst wird Fonty ein Kribbeln verspürt haben, dann hat es ihn überflutet. Zu uns sagte er: »Anfangs wurde mir eng ums Herz, bald aber sprang, wie im Märchen, der eiserne Ring.« Also hat er sich Madeleine vor Augen gestellt. Beim Hin und Her auf der chinesischen Teppichbrücke wird sie ihm in wechselnder Gestalt – die halbe Nacht lang – faßlich geworden sein; oder er sah sie am Küchentisch in der Frühe dort sitzend, wo ihm nichtsahnend Emmi gegenübersaß, die aber vielleicht doch merkte, daß ihr Wuttke den besonderen Blick hatte: »Der sieht manchmal Sachen, die gar nich da sind.« Denkbar, daß er sie aus gemischter Sehnsucht herbeirief und mal inselblond, mal aschblond auf sich zukommen sah, doch immer in Kleidern von altmodischem Schnitt und schlichtem Faltenwurf, keine Rüschen, nichts, was er als »aufgedonnert« hätte bekritteln müssen.
    Vielleicht hat er vor seiner imaginierten Enkeltochter die große Abbitte geprobt und inwendig Sätze für eine weitausholende Beichte gereiht, beginnend beim sündigen Elbflorenz und des Unsterblichen frühen Fehltritten, dabei um Nachsicht bittend, weil die Wirrnisse einer auf mangelnde Freiheit gestimmten Zeit zu Irrwegen nicht nur auf politischem Feld verführt hätten. Es wäre ihm möglich gewesen, im Hundertjahressprung vom Leipziger Herwegh-Club und dessen aufrührerischen Deklamationen auf das Rumoren in den Offizierskasinos der französischen Etappe, mithin auf seinen Briefwechsel mit preußischen Adelsspitzen, den von Witzleben, Yorck, Schulenburg, also auf das mißglückte

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