Ein wilder und einsamer Ort
der Insel. Nach einer Weile
ließ mich die drückende Hitze einnicken.
Ich genoß gerade die Anfangsszenen
eines kühlen Traums, in dem ich den Strand von Bootlegger’s Cove
entlangspazierte, als das Taxi so jäh bremste, daß ich mich an der Armstütze
festkrallen mußte, um nicht vom Sitz zu fliegen. Nur Zentimeter vor der
vorderen Stoßstange des Toyota erhob sich ein Autobusheck, und ein Stück weiter
vom stand der Verkehr völlig. »Philipsburg«, sagte Kenny mit einem abgeklärten
Achselzucken, dem ich entnahm, daß die Straße hier immer verstopft war.
»Außenrum«, setzte er hinzu, würgte das Lenkrad nach links und schoß zwischen
zwei entgegenkommenden Wagen durch.
Die Seitenstraße, in die er einbog, war
schmal und voller Schlaglöcher. Zu beiden Seiten standen pastellfarbene
Schlacksteinhäuser mit Wellblechdächern. Leute saßen auf den Veranden oder in
ihren Hauseingängen, die Frauen in knallfarbigen Shiftkleidern, die an die
fünfziger Jahre erinnerten, die Männer in T-Shirts und tropengerecht leichten
Hosen. Kinder spielten im Dreck, und unglaublich viele räudige Hunde dösten auf
der Straße. Diese Hunde besaßen offenbar ein extremes Weltvertrauen, da sie
beim Herannahen des Taxis kaum den Kopf hoben; Kenny umkurvte sie fügsam.
Zwischen den Häusern standen überall Lotterie-Losbuden, die ein reges Geschäft
zu machen schienen; bei ihrem Anblick mußte ich an Speed Schechtmann denken.
Einen Moment lang erwog ich, Kenny zu
fragen, ob er Schechtmann oder Jumbie Cay kenne, aber dann entschied ich mich
dagegen. Auf einer kleinen Insel mit weniger als dreißigtausend Bewohnern
machte Ungewöhnliches zweifellos schnell die Runde; eine Amerikanerin, die
Sachen fragte, die Touristen nichts angingen, fiel garantiert in diese
Kategorie.
Wir kamen hinter Philipsburg wieder auf
die Hauptstraße, und Kenny begann, mir unter lebhafter Gefühlsbeteiligung eine
Geschichte zu erzählen, in der es darum ging, daß ein Holländer und ein
Franzose die Insel unter sich aufteilen wollten, indem sie sie in
entgegengesetzter Richtung umschritten, bis sie sich wieder trafen. Die Pointe
war, daß der Franzose den Löwenanteil bekam, weil der Holländer so fett war und
unterwegs haltmachte, um Gin zu trinken. Kenny, der mir erzählt hatte, er wohne
auf der französischen Seite, lachte schallend und schlug aufs Lenkrad. Das sei
vermutlich nicht wahr, erklärte er, aber es sei doch ein guter Witz über die
Holländer, oder?
Ich lachte höflich und stimmte ihm zu —
und wünschte, ich hätte einen weniger redseligen Fahrer erwischt. Ich wußte es
ja zu schätzen, daß er sich bemühte, mir einen freundlichen Empfang zu
bereiten, aber die Kombination aus seinem Geplapper und der dumpfigheißen Luft
zerrte an meinen Nerven.
Schließlich tauchte hinter einer
Hügelkuppe ein Schild auf, das verkündete, wir befänden uns jetzt in St.
Martin. Nach dem Verkehrsgetümmel rings um den Flughafen und in Philipsburg
wirkte Marigot ruhig und friedlich, mit einem tropisch-französischen Flair, das
mich an New Orleans außerhalb der Touristensaison erinnerte. Die Bebauung
bestand aus reizvollen pastellfarbenen Häusern, viele mit Straßencafes davor;
überall kleine schattengesprenkelte Parkanlagen. Kenny wollte mir offenbar das
volle Touristenprogramm bieten, denn er fuhr hinunter zu dem halbkreisförmigen
Hafen, wo Frachter und ein Kreuzfahrtschiff der Cunard Lines vor Anker lagen.
Der Nieselregen hatte aufgehört, und Sonnenstrahlen drangen durch die Wolken;
Händler an Marktständen entlang des Hafenbeckens zogen Planen von ihrem Angebot
an T-Shirts und sonstigen Souvenirs. Kreuzfahrttouristen spazierten durch die
Straßen, magisch angezogen von den Schaufensterauslagen der Duty-free-Shops.
Schließlich hielt Kenny vor einem zweistöckigen weißen Haus mit kunstvollen
schmiedeeisernen Balkongittern, über die sich Kaskaden zinnoberroter Blumen ergossen.
Cam Connors Apartmentnummer war
zusammen mit einigen anderen auf die Hauswand gemalt, unter einem Pfeil, der
auf einen schmalen kopfsteingepflasterten Durchgang zeigte. Ich bezahlte Kenny,
nahm die Visitenkarte, die er mir hinstreckte, versprach, ihn anzurufen, falls
ich je eine Rundfahrt durchs Inselinnere machen wollte, und hängte mir meine
Reisetasche über die Schulter. Der Durchgang führte in einen Hof, in dessen
Mitte Palmettos wuchsen; auch zu dieser Seite gingen blumenverhangene Balkone
hinaus. Ich erklomm eine Treppe, fand eine Tür und folgte einem Innenflur
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