Ein wilder und einsamer Ort
komme schon zurecht.«
»Sprechen Sie Französisch oder
Holländisch?«
»Nein.«
»Haben Sie eine Knarre?«
Ich hatte die 38er zu Hause gelassen;
nur mit einem kalifornischen Waffenschein war es unmöglich, eine Pistole über
Staatengrenzen zu bringen. »Nein«, gab ich zu.
»In letzter Zeit haben Touristen öfters
Probleme in dieser Gegend gehabt. Und außerdem bezweifle ich, daß Lash mit
Ihnen allein reden würde. Mir ist er noch einen Gefallen schuldig.«
Diese Bemerkung erinnerte mich an Hy;
manchmal stellte ich mir ihn und seine alten Kumpel als Schnittpunkte in einem
weltweiten Netz wechselseitiger Verpflichtungen vor, ähnlich dem Routennetz
einer Fluglinie. »Okay«, sagte ich, »können wir gleich gehen?«
»Auf keinen Fall vor elf Uhr abends.
Zeff Lash ist ein Spätaufsteher.«
Die Verzögerung ärgerte mich ein
bißchen, aber meine Ungeduld wich gleich darauf der Müdigkeit. »Wenn Sie mir
ein Hotel empfehlen könnten...«
»Ich habe ein Gästezimmer.«
»Cam, Sie müssen mich nicht auch noch
beherbergen.«
»Ich möchte es gern.«
»Sie müssen Hy ja einiges schuldig
sein.«
Sein Gesichtsausdruck wurde verlegen.
»Tja, ich habe Ihnen ja von dem Abend damals in Hongkong erzählt.«
»Dann nehme ich Ihr Angebot dankend
an.«
»Möchten Sie sich nicht ein bißchen
hinlegen? So gegen neun gehen wir essen, im Restaurant meines Freundes Ben. Er
macht ein erstklassiges Muschelragout; das wird uns für unseren Plausch mit
Zeff Lash stärken.«
Die schlaglöchrigen Straßen des
Quarters pulsierten von einem Rhythmuskonzert aus hundert verschiedenen
Quellen. Die Nacht war tintenschwarz, warm und samtweich; die Luft streichelte
meine bloße Haut und war erfüllt vom Duft unidentifizierbarer Blüten. Leider
war sie auch erfüllt von Insektenschwärmen, und selbst das organische
Antimückenzeug, mit dem Cam mich Gesicht, Hände und Beine hatte einreiben
lassen, vermochte sie nicht abzuschrecken. Ich klatschte hektisch auf meine
verschiedenen Körperteile ein, während wir, an einer geschlossenen Lotteriebude
vorbei, auf eine Ansammlung von hellen Schlacksteinbauten zugingen. Stimmen
drangen durch das Dunkel — rasches, melodisches Reden, schrilles Lachen,
wütendes Gebrüll. Hunde bellten, ein Kind heulte, eine Frau schluchzte. Eine
Katze schrie, und eine andere antwortete. Trotz der späten Stunde brodelte das
Quarter von Leben — unsichtbar, intensiv, auf eine diffuse Weise gefährlich.
Mein Körper reagierte mit Adrenalinstößen.
Connors führte mich zu einem rosa Haus
mit geschlossenen Läden vor Tür und Fenstern; der hartgebackene Lehmboden
darunter war streifig von herausdringendem Licht. Er klopfte, und die Stimmen
im Inneren verstummten abrupt. Schritte näherten sich der Tür, und ein Mann mit
medusenhauptartigen Dreadlocks guckte heraus. Cam sprach eine ganze Weile auf
französisch auf ihn ein, und er starrte mich an, wobei sich seine Stirn in
immer tiefere Falten legte.
»Sofort?«fragte er, als Connors zu Ende
geredet hatte.
»Sofort.«
»Ey, Mon, ich hab aber Asse auf
der Hand.«
Seine Worte weckten einen bittersüßen
Gechmack in meinem Mund, weil ich daran denken mußte, wie Hy gestern abend aus
der Poker-Runde der Computer-Recherche-Abteilung von RKI ausgestiegen war. Ich
schluckte und packte die Erinnerung vorerst weg. Cam sagte jetzt wieder etwas
auf französisch. Der Mann — Zeff Lash, nahm ich an — guckte erst ärgerlich,
dann nachdenklich. Er wandte sich achselzuckend um und schloß die Tür vor
unserer Nase.
»Nein?« fragte ich.
»Doch. Er löst seine Chips ein und
trifft uns dann bei Eudoxie. Das ist eine Bar gleich um die Ecke.«
Eudoxies Bar bestand aus einem kleinen
Raum, vollgepfropft mit jener Sorte weißer Plastikmöbel, die überall auf der
Welt in Bau- und Gartenmärkten auftauchten, sobald der Frühling seinen ersten
zaghaften Atemzug tut. An der einen Wand hingen zwei Spielautomaten neben einer
Durchreiche, wo man seine Drinks holte. Die einzigen Gäste außer uns waren ein
Mann und eine Frau mittleren Alters, die sich an einem Tisch in der Ecke leise
unterhielten.
Cam ging etwas zu trinken holen, und
ich setzte mich hin, wobei mir die Form des Stuhls von früheren Begegnungen mit
seinen amerikanischen Verwandten her sofort vertraut war. Cam kam mit drei
Gläsern von der Durchreiche zurück, stellte eins auf den Tisch und reichte eins
mir. »Was ist das?« fragte ich und beäugte die klare Flüssigkeit mißtrauisch.
»Gin.«
»Ich dachte,
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