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Ein wilder und einsamer Ort

Ein wilder und einsamer Ort

Titel: Ein wilder und einsamer Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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Schultern. Mein Blick schweifte durch das Büro. Es war teuer und
geschmackvoll eingerichtet, das Werk des RKI-Innendesigners, aber es wies kaum
eine Spur seines sporadischen Benutzers auf, außer einem bizarr geformten
Brocken eines Materials, das aussah wie ein großporiger Schwamm, tatsächlich
aber aus versteinerten Pflanzenablagerungen bestand und von einem der
Tuffsteintürme am Lake Tufa, ganz in der Nähe von Hys Ranch, stammte. Die
Umweltstiftung seiner verstorbenen Frau hatte dieses bedrohte Stück Natur
gerettet.
    Ich hatte mich oft gefragt, ob Hy nicht
die kämpferischen Umweltschutzaktionen vermißte, die er so lange in vorderster
Front mitgetragen hatte, aber in letzter Zeit wurde mir immer klarer, daß ihm
seine jetzige Tätigkeit mehr lag. Die Ökologiebewegung hatte viel von ihrer
Militanz verloren; die Spaulding-Stiftung setzte ihre Arbeit im Zeichen einer
labilen Waffenruhe fort. Aber ein Teil von Hy brauchte den Konflikt, suchte die
Gefahr genauso wie ich. Wenn man diesen Teil dafür einspannte, Leben zu retten,
war er ein Gewinn; wenn man ihn nicht domestizierte, konnte er ein tödlicher
Risikofaktor werden.
    »Was hast du gesagt, wo du hinfliegst?«
fragte er.
    »St. Maarten.«
    »Vielleicht wäre ein Kontakt dort gar
nicht schlecht.« Er stand auf, konsultierte ein Adreßverzeichnis und kritzelte
ein paar Zeilen auf einen Notizblock. »Cam Connors, ein alter Kumpel, betreibt
dort einen Charter-Flugservice; er wohnt in Marigot, der Hauptstadt von San
Martin, dem französischen Teil der Insel. Ich werde ihn anrufen und ihm sagen,
daß du kommst.«
    »Danke.« Ich steckte den Zettel in
meine Brieftasche. »Kennst du eigentlich in jedem Winkel dieser Welt jemanden?«
    »In etwa.« Ersetzte sich wieder und
begann, mit den Lippen meinen Hals zu erforschen.
    »Laß das!« rief ich. »Ich muß nach
Hause und meinen Paß ausbuddeln. Ich muß packen, und ich weiß nicht genau, in
welcher Verfassung meine Hochsommerklamotten sind.«
    »Warum müssen sich Frauen immer den
Kopf drüber zerbrechen, was sie anziehen sollen?« Er biß mich ins Ohrläppchen
und forschte weiter, diesmal ein wenig tiefer.
    »Ich kann dort nicht rumlaufen, ohne
wie eine Touristin auszusehen; ich will keine Aufmerksamkeit auf mich ziehen.«
    »Kann ich vielleicht mal deine
Aufmerksamkeit auf mich ziehen?«
    »Ripinsky! Ich muß — Hy!«
    Na ja, vielleicht hatte ich ja doch
noch eine halbe Stunde...

 
     
     
    37 000 Fuß über dem Grand Canyon

23.
Mai, 4 Uhr 49 Ortszeit
     
     
    Ich hängte den Airfone-Hörer wieder in
seine Halterung an der Sitzlehne vor mir, zog meine American-Express-Karte aus
dem Schlitz und begann mir ernsthaft Sorgen zu machen. Seit wir in San
Francisco gestartet waren, versuchte ich jede halbe Stunde, Adah zu erreichen,
und noch immer keine Reaktion. Ich war schon fast versucht, ihre Eltern
anzurufen, aber ich wollte sie nicht unnötig beunruhigen. Und außerdem — sobald
die Möglichkeit bestand, daß ihre Tochter in Gefahr war, würde Barbara
sämtliche Straßen der Stadt nach ihr absuchen, und Rupert würde an die Tür des
Bürgermeisters hämmern und wissen wollen, warum er diese Straßen, verdammt noch
mal, nicht längst so sicher gemacht hatte, daß ein Vater sich keine Sorgen um
sein kleines Mädchen zu machen brauchte.
    Und Adah würde mich umbringen, sobald
sie wiederauftauchte. Von deren exzessiven Neigungen einmal abgesehen,
beneidete ich Adah manchmal um ihre Eltern. Als wir McCone-Sprößlinge aus dem
Nest geflüchtet waren, hatte unsere Mutter nicht aufhören können, uns zu
betütteln, aber jetzt, da ihr neuer Freund Melvin Hunt seine Waschsalonkette
verkauft hatte, waren sie dauernd auf Reisen; das bißchen, was ich von ihr
hörte, flatterte mir auf Postkarten aus irgendwelchen fernen Ländern ins Haus.
Und das Rikscha-Foto, das sie kürzlich aus Hongkong geschickt hatte, war kein
Ersatz für die wöchentlichen Anrufe, die ich früher von ihr erhalten hatte.
Mein Vater hatte schon die ganzen letzten Jahre, ehe Ma die Scheidung
eingereicht hatte, seine Zeit damit verbracht, in der Garage herumzuwerkeln und
schlüpfrige Balladen zu singen. Inzwischen hatte er ebenfalls eine neue
Gefährtin gefunden, eine Witwe namens Nancy Sullivan, und die beiden waren
ständig mit Pas Chevy Suburban und einem nagelneuen Airstream-Wohnanhänger auf
Achse. Sie schickten noch nicht mal Postkarten.
    Mit den Jahren löst sich der
Familienverband auf. Okay, das konnte ich akzeptieren. Man behält engen

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