Ein wilder und einsamer Ort
was versucht, der kann sich auf was gefaßt machen.«
17
Regina schickte mich nach draußen, um
Kenny zu bezahlen und wegzuschicken. Sie kenne den Taxifahrer nicht, und sie
traue keinem, der ihr und ihrer Gruppe — wer immer das sein mochte — unbekannt
sei. »Hier«, sagte sie, als ich mich zur Tür wandte, »geben Sie ihm ein paar
von denen hier. Dann wird er blitzartig verschwinden.«
Ich sah auf die Faltblätter, die sie
mir in die Hand drückte. Traktätchen der Siebenten-Tags-Adventisten. Ich kam
schmunzelnd wieder zurück; Kenny hatte die Faltblätter so heftig
zurückgewiesen, als könnten sie verseucht sein.
Regina lächelte wissend. »Es schmerzt
mich, daß so viele Menschen sich dagegen wehren, das Licht zu sehen, aber
andererseits kann ihr Horror vor dem Wort des Herrn auch sehr nützlich sein.
Kommen Sie mit.«
Sie führte mich durch den Laubengang zu
dem verrammelten Nebengebäude. Die Tür war mit Kette und Vorhängeschloß
gesichert. Sie schloß auf, löste die Kette und ging mir voran. Drinnen war es
stockfinster; ich blieb stehen.
Eine Petroleumlampe flammte auf, zuerst
schwach, dann heller. Ich trat durch die Tür und fand mich in einem großen Raum,
der einmal ein Stall gewesen war. Er war blitzsauber, und die Stallplätze waren
mit Bettlaken voneinander abgetrennt; in einem dieser Abteile erblickte ich ein
ordentlich gemachtes Feldbett. Am hinteren Ende des Raums befand sich eine
Koch- und Eßecke, am anderen ein Sammelsurium schäbiger Sitzmöbel. Eine
Spielzeugkiste, auf der ein Teddybär thronte, und ein mit Taschenbüchern
vollgepfropftes Regal standen unter einem der verrammelten Fenster.
»Was...?« fragte ich.
Regina stellte einen Deckenventilator
an, um der stehenden Hitze zu wehren, ließ sich langsam in einem Sessel nieder
und bedeutete mir mit einer auffordernden Handbewegung, ebenfalls Platz zu
nehmen. »Ich will Ihnen eine Geschichte erzählen«, sagte sie. »Als ich damals
in dieses friedliche Tal zog, ging ich zum Gottesdienst in das kleine
Steinkirchlein, zwei Meilen weiter an der Straße. In der ersten Zeit schloß ich
gar keine Bekanntschaften, ich war einfach aus der Übung. Dann begegnete ich
eines Tages im Supermarkt einer Frau, die das letztemal im Gottesdienst neben
mir gesessen hatte. Ich hatte ein Buch über die politische Geschichte dieser
Region bei mir; sie machte eine Bemerkung darüber, und im Laufeiner längeren
Unterhaltung stellte sich heraus, daß wir in vielem derselben Meinung waren.
Sie schlug mir vor, doch einmal in ihren Studienkreis in der Kirche zu kommen.
Ich erklärte ihr, daß ich die Bibel
schon vorwärts und rückwärts kannte. Sie sagte, es sei kein Bibelkreis, sie
sprächen über die politische Situation in der Karibik und Mittel- und
Südamerika. Das interessierte mich, also ging ich hin und blieb auch dabei.
Jeden Donnerstagabend diskutierten wir über die Unterdrückung und den
politischen Wandel in diesem Teil der Welt. Nach sechs Monaten kam dieselbe
Frau bei mir vorbei und fragte mich, ob ich mich nicht dem inneren Kern der
Gruppe anschließen wolle. Die Diskussionsabende waren offenbar nur ein Testfeld
gewesen, um die Ernsthaftigkeit meiner Überzeugungen und meines Engagements
auszuloten. Der innere Kern beschränkte sich nicht aufs Reden; er half Leuten,
die anderswo politisch verfolgt wurden.«
»Wie?«
»Sie wissen doch sicher von Ihrer
amerikanischen Underground Railroad ?«
»Ja.«
»Nun ja, was Sie hier sehen, ist eine
Station der unsrigen.«
»Sie helfen den Verfolgten bei der
Flucht?«
Sie schüttelte den Kopf. »Dafür sind
wir nicht gerüstet. Um ehrlich zu sein, die meisten von uns sind zu alt und zu
dick für diese Art Action. Aber wir sammeln Geld für finanzielle Hilfen, wir
bringen die Leute unter, wir verweisen sie an andere Helfer an anderen Orten.
Wir geben ihnen moralische und seelische Unterstützung. Es hat sich
herumgesprochen, daß Menschen in Not auf dieser Insel Freunde finden.«
»Das ist schon ein merkwürdiger
Zufall«, sagte ich. »Der Mann, mit dem ich zusammen bin, macht eine ganz
ähnliche Arbeit; im Moment hilft er gerade einem Dissidenten, aus Haiti zu
fliehen.« Ich nannte ihr Hys Namen und den der Organisation in Miami, die ihn
beauftragt hatte.
Regina schien nicht weiter überrascht.
»Ihren Freund kenne ich nicht, aber die Gruppe, für die er arbeitet. Und das
alles ist keineswegs ein Zufall.«
»Nein?«
»Wie gesagt, ich bin eine fromme Frau.
Ich glaube an die
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