Ein wilder und einsamer Ort
anderen.
Das Programm für heute lautet, Habiba von dieser Insel zu holen.
Ich trank meinen Kaffee aus. An der
Ecke war eine Telefonzelle; ich legte das Geld auf den Tisch und ging hin.
Früher Nachmittag drüben in
Kalifornien. Greg Marcus war nicht in seinem Büro. Bei Joslyn immer noch kein
Anrufbeantworter. Renshaw war nicht in der Green Street, aber die Zentrale
stellte mich ins Konsulat durch.
»Wird verdammt noch mal Zeit, daß Sie
anrufen!« schrie er. »Was treiben Sie?«
»Ich bin im Begriff, Habiba dort
herauszuholen und heimzubringen.« Jetzt glaubte ich es; genau das würde
passieren. »Und was läuft bei Ihnen?«
»Nichts. Keine Lösegeldforderung, und
Mrs. Hamid tut, als wäre nichts.«
»Herrgott, Gage, Mavis ist tot, und
Habiba ist hier unten. Wie kann sie da so ruhig bleiben? Sie weiß doch, wozu
ihr Sohn fähig ist...«
»Wozu er fähig ist?«
Böse verplappert; darauf konnte ich
jetzt nicht eingehen. »Na ja«, sagte ich lahm, »er war ja bisher nicht gerade
der beste aller Väter. Haben Sie irgendwas von Ripinsky gehört?«
Zögern. »Ja. Er hat seinen Mann
rausgeholt und auf den Weg nach Panama gebracht, wo ihm Asyl gewährt wurde.«
»Wo ist Hy jetzt?«
»Santo Domingo. Es gab...
Komplikationen.«
»Komplikationen? Gage — was ist los?«
»Er ist krank, weiter nichts. Dieser
verdammte Infekt, den er sich in Managua eingefangen hat. Aber er war beim Arzt
und hat Medikamente dagegen gekriegt. Machen Sie sich keine Sorgen.«
Wie sollte ich mir keine Sorgen machen?
»Haben Sie eine Kontaktnummer?«
Er gab sie mir durch. »Geben Sie mir
auch eine Nummer, unter der ich Sie erreichen kann.«
»Gibt keine. Und hören Sie, Gage, falls
Hy sich meldet, sagen Sie ihm, daß er auf keinen Fall Kontakt mit Cam Connors
aufnehmen soll.«
»Connors. Was hat der damit...«
»Ich muß Schluß machen, Gage.«
»Halten Sie auf jeden Fall Verbindung.«
Er zögerte und sagte dann zu meinem Erstaunen: »Und, Sharon — passen Sie auf
sich auf.« Selbst er wird auf seine alten Tage weicher, dachte ich beim
Einhängen. Aber vielleicht hat er mich auch nur aus einem dieser inneren
Schubfächer, von denen Cam sprach, in ein anderes gepackt. Unter welcher
Rubrik? fragte ich mich.
Ich nahm den Hörer, sah auf den Fetzen
Papier, auf dem ich Hys Nummer in Santo Domingo notiert hatte. Ich spürte den
Sog; ein kleiner Anruf bei der Ferngesprächsgesellschaft, und ich würde seine
Stimme hören. Mich vergewissern können, daß es ihm gutging.
Aber das durfte ich nicht tun.
Ich hatte ihn noch nie belügen, noch
nie etwas vor ihm verbergen können. Wenn ich anrief, würde er in Windeseile die
ganze Sache mit Connors’ Verrat aus mir herausholen. Es würde ihn maßlos wütend
machen, und er würde womöglich trotz seiner Krankheit hierherfliegen und meine
Pläne durchkreuzen. Außerdem würde ich mich, wenn ich wieder auflegte,
wahrscheinlich einsam und deprimiert fühlen. Das konnte ich mir jetzt nicht
leisten. Ich mußte mich ganz auf heute nacht und auf Habiba konzentrieren.
Die Erwartung, nach der Aktion Hys
Stimme wieder hören zu können, war das Funkleitsignal, das mich mit der Kleinen
hierher zurückführen würde.
Eine letzte Kleinigkeit galt es noch zu
regeln, aber das war das Allerwichtigste. Ich wählte eine Nummer auf der nahe
gelegenen Insel Anguilla und gab eine Information durch, die für meinen
Gesprächspartner von großem Interesse war. Dann holte ich tief Luft und machte
mich auf den Weg in die Rue de la Liberté, um Connors zu treffen.
Connors bestand darauf, zum Abendessen
mit mir in ein Restaurant am Ablegekai der Fähren nach Anguilla zu gehen — eine
makabere Henkersmahlzeit. Die untergehende Sonne war hinter der Landzunge am
westlichen Ende der Bucht verschwunden, aber ihr roter Schein verwandelte die
Wolken, die sich am Horizont türmten, in Feuer, über dem graue Rauchschwaden
hingen. Ich begann — in der Hoffnung, die, wie mir schien, ziemlich lahme
Stimmung zwischen uns zu beleben —, über Farbfotografie zu plaudern. Je
munterer ich redete, desto trübseliger wurde Connors. Er hing in seinem Stuhl
und starrte grüblerisch auf das dunkle Wasser.
Ein Anfall von Gewissensbissen wegen
seines Vorhabens, dachte ich. Na schön. Mochte er ruhig schon einmal einen
Vorgeschmack dessen kosten, was er fühlen würde, ehe diese Nacht vorbei war.
Unsere Ziegenkebabs wurden über einem Ölfaß auf der klapprigen Veranda
gegrillt. Als sie kamen, stocherte ich nur darin herum; der
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