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Ein wilder und einsamer Ort

Ein wilder und einsamer Ort

Titel: Ein wilder und einsamer Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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das wegen meiner eigenen
Vorbehalte gegen Schußwaffen für bare Münze genommen, aber jetzt sah ich es in
einem anderen Licht. Hy hatte mir erzählt, daß Dan Kessells Piloten immer
bewaffnet gewesen waren — sonst wäre die Gefahr zu groß gewesen, daß ihre
Fracht geraubt oder ihre Maschine gekapert wurde. Hier in der Karibik, wo der
Drogenhandel blühte und die politische Instabilität groß war, wäre es töricht
von Connors gewesen, nicht an dieser Praxis festzuhalten. Gewohnheiten, die ein
gefährliches Leben eingeschliffen hat, legt man so leicht nicht wieder ab; Hy
war der vorsichtigste Mensch der Welt, was Schußwaffen anging, aber ich
bezweifelte, daß er jemals einschlafen würde, ohne seine 44er griffbereit zu
haben. Und Connors hielt es garantiert genauso.
    Cam mochte Hys Freund gewesen sein,
aber diese Freundschaft hatte sich vor vielen Jahren in einer völlig anderen
Situation entwickelt. Die Menschen ändern sich, und wir vergessen oft, daß es
nicht zwangsläufig eine Veränderung zum Besseren sein muß. Wenn Hy eine
gefährliche Schwäche hatte, dann war es der unverbrüchliche Glaube an Leute,
die ihm einmal wichtig gewesen waren.
    Connors gegenüber hätte er vorsichtiger
sein müssen.
    Ich hätte vorsichtiger sein müssen.
    Meine Hände waren zu Fäusten geballt,
und meine Fingernägel gruben sich in die Handflächen. Ich biß mir so fest auf
die Unterlippe, daß ich Blut schmeckte.
    Regina Altagracia runzelte die Stirn.
»Alles in Ordnung?«
    Was hatte Connors vor? Mich über dem
offenen Meer aus seinem Flugzeug zu werfen? Wohl kaum; es bestand die Gefahr,
daß ich mich wehrte, und er würde weder die Maschine noch sein Leben aufs Spiel
setzen wollen. Er konnte woanders wassern und mich ertränken. In dieser Gegend
ertranken dauernd Touristen; mein Tod würde vermutlich keine ernsthaften
Nachforschungen auslösen.
    Aber trotz allem — Cam wirkte auf mich
nicht wie ein kaltblütiger Killer; er hatte ganz sicher sein möglichstes getan,
mir das Unternehmen Jumbie Cay auszureden. Er mußte davon ausgehen, daß ich Hy
angerufen und ihm von unseren Plänen erzählt hatte. Wir waren gestern abend
zusammen im Restaurant seines Freundes Ben und in Eudoxies Bar gesehen worden;
heute abend würde man uns zusammen am Flughafen sehen. Nein, statt mich zu
töten, würde Cam den Dingen ihren natürlichen Lauf lassen. Er würde mich wie
versprochen bei Marlin Landing absetzen.
    Und dann? Klare Sache. Ne! Simpson
würde mich Schechtmann und seinen Leuten ausliefern, und ich würde in einem
unmarkierten Grab auf Jumbie Cay enden.
    Visionen dessen, was diesem Ende
vorangehen würde, tanzten vor mir wie ein Schwarm Insekten.
    Durch sie hindurch sah ich Regina
Altagracia mir forschend ins Gesicht blicken. Sie erhob sich schwerfällig aus
ihrem Sessel, kam herüber, legte die Hand an meinen Hinterkopf und drückte mich
vornüber. »Flach atmen«, sagte sie. »Nicht aufregen.«
    »Ich muß denken...« Der Bilderschwarm
wurde zu kleinen schwarzen Pünktchen. Lieber Gott, das war mir seit Jahren
nicht mehr passiert! Ich hatte gedacht, aus dem Alter wäre ich raus —
    Das nächste, was ich spürte, waren
meine Knie, die gegen meine Schläfen drückten. Eine Hand hinderte mich daran,
den Kopf zu heben.
    »Ist schon gut«, sagte Regina
Altagracias Stimme. »Schön entspannen und weiter flach atmen.«
    »Es ist mir peinlich«, sagte ich zu der
grasgeflochtenen Matte auf dem Fußboden.
    »Das war nur ein Schock. Das kann
passieren.«
    Ich entspannte mich und atmete.
    Nach einer Weile nahm sie die Hand weg,
und ich richtete mich auf. »Danke«, sagte ich.
    Sie beugte sich herab, hob mein Gesicht
an und musterte mich ruhig-taxierend. Dann nickte sie mit einem grimmigen
Lächeln. »Ich werde Ihnen helfen«, sagte sie.
    Ich konnte mir nicht vorstellen, wie.
    Ihr Lächeln zog sich in die Breite,
bekam etwas Durchtriebenes — und Gefährliches.
    Sie sagte: »In Ihren Augen bin ich
vermutlich eine fromme alte Vettel, übergewichtig und nachlässig in äußeren
Dingen, mit einer glanzlosen Vergangenheit und einer Zukunft, die nur noch eine
sanfte Rutschpartie in den Tod ist.«
    Ich schüttelte den Kopf, verwirrt, was
das alles sollte.
    »Und auf eine Art bin ich das alles«,
fuhr sie fort, »und auf eine andere bin ich ganz anders. Und das eine sage ich
Ihnen: Wer sich an meiner Insel, meinem Vater, einem hilflosen kleinen Mädchen
oder einem guten Menschen wie Ihnen vergreift... jeder — pardon — verdammte
Mistkerl, der so

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