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Ein wilder und einsamer Ort

Ein wilder und einsamer Ort

Titel: Ein wilder und einsamer Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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Kringellocken über einer hohen eckigen Stirn musterte mich mit den
zusammengekniffenen Augen einer Kurzsichtigen. »Ja?«
    »Ms. Altagracia?«
    Sie nickte.
    Ich stellte mich vor, wies mich aus.
»Ich würde gern mit Ihnen über Ihren Vater reden.«
    »Den alten Kindskopf? Was hat er jetzt
wieder angestellt?« Ihre Sprechweise hatte nichts von der lokalen Färbung; wenn
überhaupt, klang sie nach New Jersey.
    »Na ja, Sie wissen ja, daß er Jumbie
Cay verkauft hat.«
    Sie plinkerte. »Das wußte ich nicht.«
    »So ist es aber, und jetzt steckt er
womöglich in ernsthaften Schwierigkeiten.«
    »Da können Sie Gift drauf nehmen — in
Schwierigkeiten mit mir. Diese Insel ist alles, was noch von meinem
Familienerbe übrig ist. Wie konnte er sie verkaufen!«
    »Es war ein Zwangsverkauf. Darf ich
reinkommen?«
    »Sicher. Wo habe ich meine Manieren
gelassen?« Sie machte die Tür ganz auf und ließ mich in einen Raum, in dem
diffuses Licht herrschte. Den Boden bedeckten grasgeflochtene Matten, die Wände
waren mit Farbfotos gepflastert — offenbar hiesige Landschaftsszenen. Die
Einrichtung bestand wie bei Cam Connors aus schlichten Rattanmöbeln.
    Regina Altagracia bedeutete mir, mich
zu setzen, und ließ sich selbst in einem verstellbaren Lehnsessel nieder, wobei
sie sich so vorsichtig bewegte, als litte sie an Rückenschmerzen oder
Arthritis. Sie legte eine Hand auf die Passe ihres geblümten Shiftkleids und
sagte: »Das zerreißt mir das Herz. Jumbie Cay — verkauft.«
    »Das klingt, als ob Sie diese Insel
lieben.«
    »Ja, das tue ich auch.« Sie wies mit
einer Kopfbewegung auf die Fotos an den Wänden. »Die habe ich gemacht. Jetzt
sind sie alles, was mir bleibt.«
    »Aber Sie haben die Insel doch
verlassen.«
    »Nein, Ms. McCone, ich habe meinen
Vater verlassen.«
    »Warum?«
    Sie seufzte. »Das hatte viele Gründe,
die Sie bestimmt nicht hören wollen. Bitte, erzählen Sie mir, was passiert ist.
Und wo mein Vater jetzt ist.«
    »Er ist immer noch auf der Insel; er
durfte sein Haus und etwas Land behalten. Wußten Sie, daß er spielt?«
    »Ja. Das ist einer der Gründe, weshalb
ich nicht mit ihm zusammenleben kann. Ich gehöre zur Gemeinde der
Siebenten-Tags-Adventisten, seit meiner Studienzeit in New Jersey.«
    »Ich dachte doch, ich hätte da einen
Jersey-Akzent gehört.«
    Sie lächelte, kurzzeitig von ihrem
Verlustschmerz abgelenkt. »Das verblüfft die Leute immer. Ich war auf der High
School in Newark und an der Fairleigh-Dickinson-Universität in Teaneck. Genau
wie meine Geschwister.«
    »Warum gerade dort?«
    »Der Bruder meines Vaters hat eine Frau
aus Newark geheiratet. Sie konnten keine Kinder kriegen, deshalb wollten sie,
daß wir zu ihnen kommen und dort auf die Schule gehen. Nach meinem Examen bin
ich dageblieben und habe bei einer Versicherung gearbeitet; meine Geschwister
sind immer noch in den Staaten.«
    »Warum sind Sie zurückgekommen?«
    Ihr Lächeln bekam etwas Schmerzliches.
»Meine Mutter starb, und mein Vater geriet völlig aus dem Lot. Wir waren alle
der Meinung, daß jemand sich um ihn kümmern mußte, und mir fiel diese Aufgabe
zu. Meine Schwester ist verheiratet, ich nicht.«
    »Aber Sie sind nicht bei Ihrem Vater
geblieben?«
    »Ich konnte nicht; dieses Leben war mir
unerträglich. Er trinkt, er raucht, er spielt. Auf seiner Veranda ist immer
irgendein Kartenspiel im Gang. Ich bin ein gläubiger Mensch, aber die Zustände
dort haben meinen Glauben auf eine harte Probe gestellt. Als ich meinen eigenen
Vater zu hassen begann, wußte ich, es war Zeit, daß ich ging. Außerdem«, setzte
sie hinzu, »war ich dort weder erforderlich noch erwünscht.«
    Ich kannte dieses Gefühl, etwas Gutes
tun zu wollen und damit voll abzublitzen. Weihnachten vor einem Jahr hatte mich
die Vorstellung belastet, daß Pa und seine Freundin Nancy das Fest in unserem
alten Haus mit all den dort gespeicherten Erinnerungen verbringen müßten. Da
niemand von meinen Geschwistern etwas unternahm, rief ich Pa an und lud sie
beide ein, mich zu besuchen, obwohl ich den Weihnachtstag lieber mit Hy und
guten Freunden verbracht hätte. Pas Antwort war kurz und bündig: »Wieso? Wir
fahren am dreiundzwanzigsten nach Reno.«
    Er hatte sich nicht mal für die
Einladung bedankt, und es war unserem Verhältnis auch nicht gerade gut
bekommen, daß ich sarkastisch geantwortet hatte: »Bitte, gern geschehen, Pa.«
    »Das tut weh, was?« sagte ich zu Regina
Altagracia.
    Sie zuckte die Achseln, verbarg ihre
Gefühle rasch. »In

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