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Ein Winter mit Baudelaire

Ein Winter mit Baudelaire

Titel: Ein Winter mit Baudelaire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harold Cobert
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nervös mit seinem Schlüsselbund. Er streckt seinem früheren Schwiegersohn, der jetzt vor ihm steht, die Hand entgegen.
    Langsam tritt Baudelaire aus der Dunkelheit, knurrend, mit eingezogenem Kopf und angelegten Ohren, auf seinem Rücken sträubt sich das Fell, die Zähne sind gefletscht. Großpapa zieht abrupt die Hand zurück und lässt den Arm sinken.
    Plötzlich fängt Baudelaire an zu bellen, schnellt dabei mit dem Körper vor und zurück, kauert sich knurrend zusammen, als würde er zum Sprung ansetzen, bellt wieder los. Bei jedem Bellen zucken Jean-Paul und Marie zusammen und weichen Schritt für Schritt zurück.
    »Baudelaire …«
    Als er Philippes Stimme hört, hält Baudelaire sofort inne. Er rührt sich nicht mehr und stellt auch das Bellen ein, nur sein dumpfes, drohendes Knurren nicht.
    »Wo sind sie?«, fragt Philippe ruhig.
    »Ich …«, stammelt Jean-Paul, als hätte er Philippe nicht verstanden.
    »Los, los, Großpapa, wir wollen doch nicht die ganze Nacht hier herumstehen …«
    »Jetzt hör mir mal gut zu, du jämmerlicher Wicht …«
    Philippe packt ihn mitten im Satz am Kragen, drückt ihn gegen die Motorhaube eines parkenden Autos und hält ihn am Mantelrevers so fest umklammert, dass er kaum noch Luft bekommt. Marie unterdrückt einen Schrei.
    In dem Handgemenge fliegen Jean-Pauls Schlüssel durch die Luft und schlagen mit einem dumpfen Klirren auf den Asphalt.
    »Die Adresse und die Schule, schnell …«
    »Nie… niemals«, bringt Jean-Paul mühsam hervor.
    »Baudelaire …«
    Langsam bewegt sich der Hund auf Marie zu, die vor jedem seiner langen, ausholenden Schritte zurückweicht. Die Gitter des Tors nehmen ihr jede weitere Fluchtmöglichkeit. Baudelaire bleibt wenige Meter vor ihr stehen.
    »Sag’s ihm, Jean-Paul …«
    Die beiden Männer taxieren sich herausfordernd.
    »…«
    »…«
    Baudelaire beginnt wieder zu kläffen und sieht so aus, als würde er jede Sekunde losstürzen. Wie gelähmt vor Angst, presst sich Marie an das Gitter.
    »Jean-Paul!!!«
    »…«
    »…«
    Baudelaire setzt zum Sprung an. Genau in diesem Moment sprudelt die verlangte Information aus Großmamas Mund.
    »Baudelaire!«
    Der Hund hält inne. Philippe funkelt Großpapa noch einmal zornig an, dann lässt er ihn los und tritt ein paar Schritte zurück. Jean-Paul massiert sich den Hals, zerrt an seinem Mantelkragen. Baudelaire läuft wieder zu Philippe.
    Der mustert seine früheren Schwiegereltern ein letztes Mal und verschwindet, von Baudelaire gefolgt, im Dunkel der Nacht.

Karneval
    Der elektronische Gong verkündet das Unterrichtsende. Helle Schreie hallen über den Bürgersteig, wo die Eltern auf ihre kleinen Ungeheuer warten. Darunter Sandrine, die sich ängstlich umblickt. Laurent hat ihr mit schützender Geste einen Arm um die Schultern gelegt.
    Minuten später ist die Straße vom Gebrüll und Gelächter der kleinen Monster erfüllt, die sich zum Karneval geschminkt und verkleidet haben. Sie laufen hintereinander her, bewerfen sich mit Luftschlangen und pusten sich mit Blasrohren aus Karton bunte Papierkügelchen ins Gesicht. Die Straße hat sich in ein lautes Getümmel aus Farben und Kostümen verwandelt.
    Verfolgt von einer vierköpfigen, mit Wasserbomben bewaffneten Jungenbande, kommen Claire und ihre drei Freundinnen angerannt. Claire flüchtet sich prustend vor Lachen zu ihrer Mutter, wo sie in Sicherheit ist. Sie hat sich als Prinzessin kostümiert, mit einem Kleid, in dem Weiß, Blau und Rosa ineinander verschmelzen wie die Farben des Himmels im Morgenrot.
    Sandrine fasst sie an der Hand und zieht sie fort. Doch Claire stemmt sich gegen den Arm ihrer Mutter, worauf sich Sandrine zu ihr umdreht.
    »Nun komm schon, wir müssen los!«
    »Aber … Ich will noch ein bisschen bleiben!«
    Energisch reißt Claire ihre Hand los und verschränkt schmollend die Arme vor der Brust.
    »Claire …«, sagt Sandrine mit drohend erhobenem Zeigefinger.
    Laurent, der dazugekommen ist, hockt sich vor das Mädchen.
    »Soll ich dich auf den Schultern tragen?«
    Claire tritt einen Schritt zurück und schüttelt den Kopf.
    »Hör zu, das reicht jetzt …«, zischt Sandrine.
    Als sie einen Schritt auf ihre Tochter zugeht, taucht plötzlich schwanzwedelnd Baudelaire vor dem Mädchen auf. Er hat eine Fliege um den Hals, die in allen Regenbogenfarben leuchtet.
    »Hallo, du Hund!«
    Sie streichelt ihn.
    »Claire, lass das! Vielleicht ist er bissig!«
    Baudelaire hat sich hingesetzt und lässt sich mit hängender Zunge

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