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Ein Winter mit Baudelaire

Ein Winter mit Baudelaire

Titel: Ein Winter mit Baudelaire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harold Cobert
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…«
    Alle Blicke richten sich auf Philippe.
    »Dann wäre das?«, fragt Bébère, während er den Brief in Philippes Plätzchendose legt.
    »Dass ich zu meinen früheren Schwiegereltern gehe, um ihnen die Würmer aus der Nase zu ziehen …«
    »Das musst du erst mal schaffen …«, wirft Ahmed ein und verliert sich wieder in der Betrachtung der weißen Bodenkacheln.
    »Tja …«, bemerkt Philippe.
    »Hast du ein Foto von deiner Tochter?«, fragt ihn Ahmed.
    »Ein Foto?«
    Philippe zückt seine Brieftasche und klappt die beiden Sichtfächer auf: rechts sein Personalausweis, links das Foto von Claire. Ahmed kommt näher.
    »So eine Schlampe! … Äh, nicht deine Tochter, die Alte natürlich …«, sagt er und deutet mit dem Kinn auf die Dose, in der Bébère den Brief deponiert hat.
    »Kann ich mal sehen?«, fragt Bébère.
    Philippe gibt ihm die Brieftasche. Er betrachtet das Foto, lächelt, gibt es ihm zurück.
    Fatima kommt an den Tisch, nimmt ihm wortlos die Brieftasche aus der Hand. Ihre Augen wandern zwischen dem Foto und dem Personalausweis hin und her.
    »Was ist das, ›Lafosse‹?«, will sie wissen.
    »Mein Familienname.«
    »Das hatte ich schon verstanden, aber woher kommt der?«
    »Ich weiß nicht. Ich bin aus Le Havre, aber mein Name … Ich weiß nicht …«
    Sie klappt die Brieftasche zu und gibt sie ihm zurück. Der Kühlschrank überwindet sein Brummen mit einem kräftigen Hickser, und es wird wieder still.
    »Was machst du jetzt?«, fragt Ahmed schließlich.
    Den Blick ins Leere gerichtet, holt Philippe tief Luft und verzieht unschlüssig den Mund.
    »Ich weiß nicht …«
    Fatima gibt ihm eine Ohrfeige. Alle starren sie wie vom Donner gerührt an.
    »Was soll das heißen, du weißt nicht?«, keift Fatima. » Nardinamouk , du wirst jetzt deinen Arsch bewegen, und zwar sofort!«
    »Fatima …«, stammelt Bébère.
    »Halt die Klappe!«
    Keiner sagt einen Ton. Baudelaire hat die Ohren so fest angelegt, dass sie kaum noch zu sehen sind.
    »Und du«, fährt Fatima fort, den Zeigefinger auf Philippegerichtet, »du gehst zu den Eltern von dieser charmouta , und wenn’s sein muss, schneidest du ihnen die Kehle durch, aber du setzt keinen Fuß mehr in diese Küche, solange du deine Tochter nicht wiedergefunden hast!«
    Sie packt ihn am Arm und zerrt ihn zu dem Törchen, das in den Innenhof führt. Mit gesenktem Kopf und eingezogenem Schwanz ergreift Baudelaire die Flucht.
    »Los, los, astrahh ! Du auch!«, ruft sie Ahmed zu. »R’fy!« »Fatima …«, versucht Bébère, seine Frau zu beschwichtigen.
    »Alsmt!«
    Die ganze Versammlung samt dem traurig dreinschauenden Bébère findet sich im Hof wieder.
    »Und du, an die Arbeit! Chouf! Chouf! «, befiehlt ihm Fatima, die schon wieder auf dem Weg in die Küche ist. »Lafosse … Le Havre …«, schimpft sie leise vor sich hin.
    Bébère und seine Freunde tauschen entgeisterte Blicke aus.
    »Bébère, nardinamouk !«, schreit Fatima von drinnen.
    Mit einer kreisenden Handbewegung bedeutet er ihnen, dass sie später miteinander reden werden, und kehrt zu Fatima zurück, die in der Küche energisch Fleisch in Stücke schneidet.

Blaue Stunde in Versailles
    Der Sonntag geht zu Ende. Ein bleicher Tag stiehlt sich auf Zehenspitzen aus Versailles davon. Bald werden Großpapa und Großmama von ihrer Bridge-Partie nach Hause kommen. Die Bäume in ihrer Straße krümmen sich nach diesem endlosen Winter immer noch nackt.
    Im Schutz der länger werdenden Schatten, die sich räkeln wie ein träge dahingehendes Wochenende, warten Philippe und Baudelaire seit fast einer Stunde. Jedes Mal, wenn ein Auto in die stille, verlassene Straße einbiegt, richten sie sich in gespannter Erwartung auf. Die Straßenlaternen gehen an und lassen die Schatten noch dunkler erscheinen.
    Ein Mercedes, metallicgrau, biegt um die Ecke, wird langsamer, je näher er kommt, und parkt vor einem frisch verputzten Haus. Die roten Rücklichter und der Motor gehen aus, nur noch das leise Brummen des Kühlsystems ist zu hören.
    Jean-Paul und Marie steigen aus dem Wagen und gehen gemächlich auf das Tor ihres Wohnhauses zu.
    »Großpapa und Großmama …«
    Sie drehen sich zu der Stimme um und blicken suchend in die Nacht. Als sie auf der Straße den ärmlich gekleideten Philippe erkennen, weichen sie unwillkürlich zurück.
    »Ah, Philippe … Was für eine schöne Überraschung …« Großpapa hat sich schnell gefangen.
    Er trägt ein entspanntes, selbstbewusstes Lächeln zur Schau, spielt jedoch

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