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Ein Winter mit Baudelaire

Ein Winter mit Baudelaire

Titel: Ein Winter mit Baudelaire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harold Cobert
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Porte d’Orléans noch Briefe liegen, die man für Sie aufbewahrt hat. Wahrscheinlich nicht, weil sie nur zwei Wochen gelagert werden, aber wer weiß? In Anbetracht des Charakters Ihrer Ex-Frau würde es mich nicht wundern, wenn sie Ihnen einen oder vielleicht auch mehrere gepfefferte Briefe geschickt hätte,nachdem Ihre Unterhaltszahlungen ausgeblieben sind. Und weil sie umgezogen ist und ganz offensichtlich nicht will, dass Sie ihre neue Adresse kennen, wird sie diese auch nicht auf den Umschlag geschrieben haben. Das könnte bedeuten, dass einige der Briefe vielleicht doch noch irgendwo gelagert sind … Sie wären natürlich erstklassige Beweisstücke, falls wir vor Gericht gehen müssen …«
    Ein ehrenamtlicher Helfer kommt an Philippes Tisch und teilt die Suppe aus. Philippe sitzt mit Serge, Franck und einigen anderen Passagieren von Le Fleuron zusammen.
    »Mach dir keine Sorgen«, beruhigt ihn Franck, »das wird schon gutgehen mit Baudelaire …«
    Serge gibt ihm einen freundschaftlichen, aufmunternden Klaps auf die Schulter. Eine Zeit lang dreht sich das Gespräch um Baudelaire und seine Lymphknoten, dann wird über andere Dinge gesprochen, das Leben auf der Straße, das Tagesgeschehen, die Politik. Hin und wieder werden die Stimmen lauter: »Trotzdem, wenn die ganzen Ausländer nicht wären …«, sagt einer.
    »Hör auf mit dem Quatsch!«, entgegnet Serge. »Sieh dir Mustapha an.« Er deutet auf einen ihrer Tischgenossen. »Er ist in Frankreich geboren und genauso französisch wie du und ich …«
    »Ja, gut, ich meine ja auch die anderen …«
    »Wie, die anderen ? Welche anderen ?«
    »Na, die ganzen anderen eben … Alle die, die zu uns kommen, von wegen Sozialhilfe, Krankenversicherung und so weiter …«
    »Na und? Was können die dafür? Du bist doch auch froh, dass du das alles kriegst … Was würdest du denn an deren Stelle tun?«
    Die Diskussion ist lebhaft, aber sie endet in allgemeinem Gelächter, als Serge den anderen fragt: »Wo kommst du überhaupt her?«
    »Aus dem Osten.«
    »Und wo im Osten? Aus dem Osten … das ist ja wohl ziemlich vage …«
    »Straßburg.«
    »Na, bitte«, sagt Serge augenzwinkernd an die Tischrunde gewandt. »Ein dreckiger Einwanderer aus dem Teutonen-Land!«
    Nach dem Dessert gehen manche in den Rauchsalon auf der Brücke, andere verschwinden in ihren Kabinen oder spielen mit den ehrenamtlichen Mitarbeitern Gesellschaftsspiele. An Bord von Le Fleuron gibt es keinen Fernseher.
    Bevor sie eine Partie Trivial Pursuit in Angriff nehmen, rauchen Philippe und Serge im hinteren Teil des Kahns eine Zigarette.
    »Was für ein Idiot, dieser Scheißrassist!«, bemerkt Serge und nimmt einen kräftigen Schluck aus einem Flachmann, den er in seiner Tasche versteckt hat.
    Die Nacht ist schön und sternenklar, die Kälte mörderisch. Sie kehren in den Speisesaal zurück, um mit dem Spiel anzufangen.
    Um 22 Uhr liegen alle in ihren Kojen, um 8 Uhr am nächsten Morgen ist Aufstehzeit. Serge fällt geradezu in sein Bett. Philippe kann erst nicht einschlafen. Er hat seinen Schlafsack auf die Bettwäsche gelegt und ist mit Baudelaire hineingekrochen. Der schlummert schon selig, als auch Philippe endlich vom Plätschern der Wellen gegen den Rumpf des Schiffs in den Schlaf gewiegt wird.

Ausgewählte Lesestücke
    Einige Tage später ist Philippe in Begleitung von Baudelaire unterwegs zum Postamt in der Rue Littré, das er zu seiner postalischen Anschrift gemacht hat.
    Gleich nach seiner ersten Nacht an Bord von Le Fleuron ist er zur Poststelle Porte d’Orléans gegangen, um nachzufragen, ob dort in den vergangenen neun Monaten Briefe für ihn eingetroffen sind. Nach längeren Nachforschungen konnte ihm der Beamte mitteilen, dass einige Briefe und mehrere Einschreiben für ihn gelagert und schließlich an den Absender zurückgeschickt worden seien, mit Ausnahme von drei Umschlägen, die sich noch im Zentrallager befänden.
    »Soll ich dort anrufen, damit Ihnen die Briefe noch einmal zugestellt werden?«
    »Geben Sie mir nur die Referenznummern der Briefe, ich bin jetzt in einem anderen Stadtteil«, lautete Philippes Antwort.
    Von dort ist er zum Postamt Rue Littré in der Nähe von Montparnasse gelaufen, wo er jetzt wieder Schlange steht, und hat sich vergewissert, dass er unter dieser Adresse ab sofort seine Post empfangen kann. Anschließend hat er im Zentrallager angerufen und darum gebeten, die fraglichenBriefe nochmals zugestellt zu bekommen – »innerhalb der nächsten drei

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