Ein Wirbelwind namens Millie (German Edition)
Hals. Unter ihrem hohen Blusenkragen hing Mamas Kette mit dem Medaillon. Die Kette nahm sie nie ab. „Ich denke, ich habe mir umsonst Sorgen gemacht. Wir besitzen schließlich nichts wirklich Wertvolles.“
Millicent drehte sich um und bewegte sich vorsichtig in Richtung Flur. Sie schaffte es, ohne sich den Kopf zu stoßen oder mit dem Kleid hängen zu bleiben. Stolz schaute sie sich um. Doch als sie das enge, völlig überfüllte Deck sah, zu dem die Passagiere der dritten Klasse Zugang hatten, verschlug es ihr erst einmal die Sprache. Trotzdem kämpfte sie sich weiter durch und zog Isabelle einfach hinter sich her. „Die salzige Luft schmeckt wie die Suppe, die wir einmal gekocht haben – erinnerst du dich noch?“
„Oh, die hatte ich ganz vergessen.“ Isabelle kicherte. Sie konnte sich nicht umdrehen, deshalb drehte sie nur den Kopf und blickte zu ihrem Mann. „Einmal an Weihnachten, als die meisten anderen Mädchen nach Hause zu ihren Familien gefahren waren, hat uns die Köchin erlaubt, ihr in der Küche zu helfen. Jede von uns dachte, die Köchin hätte nur ihr aufgetragen, Salz in die Suppe zu tun, und so war am Ende leider doppelt so viel Salz in der Suppe. Um den Fehler wiedergutzumachen, trug die Köchin uns auf, noch eine Menge anderer Zutaten in den Topf zu tun.“
„Es wurde die beste Suppe, die ich je gegessen habe.“ Millie hielt ihr Gesicht in den kleinen Luftzug, der zwischen zwei Männern hindurch wehte. „Isabelle, hast du –“
„Achtung! Kann ich bitte Ihre Aufmerksamkeit haben!“ Ein Besatzungsmitglied rief vom Deck der zweiten Klasse zu ihnen herunter. „Wir haben einen Passagier, der ein Kindermädchen sucht.“
„Millie.“ Isabelle stupste sie in den Rücken.
Millie spürte einen Stich im Herzen. Sie hatte Audrey und Fiona von ganzem Herzen geliebt, und jetzt waren sie ihr einfach entrissen worden. Nie wieder. Ich schaffe das nicht noch einmal.
„Ich kann auf ein Kind aufpassen!“ Eine knochige Frau wedelte mit den Armen in der Luft. Ein paar andere Frauen boten sich auch an.
„Sie da –“ Der Seemann deutete auf die erste Frau. „Kommen Sie zum rechten Treppenhaus.“
„Millie, du hättest dich auch melden sollen. Meinst du nicht auch, Frank?“
Während Frank nickte, schüttelte Millicent den Kopf. „Nein, das wollte ich nicht. Wir bleiben zusammen.“
„Das ist nicht der wahre Grund, habe ich recht?“ Isabelle schaute sie prüfend an. „Oh Millie, es wäre nicht dasselbe wie mit den Eberhardt-Mädchen. Du würdest doch nur eine Woche auf das Kind aufpassen. Das ist alles. Außerdem könntest du so ein bisschen Geld verdienen.“
„Ich würde es sogar ohne Bezahlung machen, nur um erster Klasse zu fahren“, sagte jemand hinter ihnen.
Millicent drückte Isabelles Hand. „Ich würde es dort oben nicht aushalten, wenn ich wüsste, dass ich euch hier unten allein gelassen habe.“
„Wenn ich wüsste, dass es dir dort oben gut geht, dann würde es mir viel leichterfallen, die Zustände hier unten auszuhalten. Wenn du noch eine Chance bekommst, versprich mir, dass du sie dann nutzt!“
Millicent musste lachen. „Das ist doch absurd. Dass jemand in der ersten Klasse dringend ein Kindermädchen braucht, ist ein einmaliger Glücksfall. Außerdem –“
„Pass auf, Millie, wenn du noch ein Wort darüber verlierst, dass wir zusammenbleiben wollen, dann tue ich etwas Unüberlegtes. Glaub ja nicht, dass ich dazu nicht fähig bin. Ich werde –“
„Mich hochheben und über Bord werfen?“, grinste Millicent.
„Platz! Machen Sie Platz!“ Eine Frau mit einem etwa zehnjährigen Jungen versuchte, sich einen Weg durch die Menge zu bahnen. Doch sie schafften es nicht mehr bis zur Reling, bevor sich der Junge übergeben musste. Der Anblick und der Gestank löste eine Welle der Übelkeit unter den Umstehenden aus.
Sofort packte Frank seine Frau und Millicent am Arm und schob sie zurück in den Flur. Grimmig schaute er seine Schwägerin an. „Wenn du die Möglichkeit hast, hier herauszukommen, ergreif sie mit beiden Händen.“
„Ich hab nur ein kleines Kratzen im Hals, das ist alles.“ Die Frau, die als Kindermädchen ausgesucht worden war, wehrte sich gegen ihren Begleiter. Plötzlich musste sie heftig husten. „Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen.“
Der uniformierte Mann, der sie vom oberen Deck gerufen hatte, schaute sie grimmig an. Sein mit Pockennarben übersätes Gesicht sah richtig Furcht einflößend aus. „Sie sind nicht die
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