Einarmig unter Blinden - Roman: Roman
ist viel kleiner, als ich ihn erwartet hätte. Der Boden ist mit altem Schiffsparkett ausgelegt. Unter dem Sessel liegt ein brauner Teppich. Über mir hängt ein Fernseher. Es läuft irgendeine Gerichtssendung auf Sat1.
»Warum hast du die Kapuze auf?«
»Nur so.«
»Mach sie weg.«
»Klar. Sofort.«
Ohne mich oder den Tattooheini zu fragen, ob es klargeht, kommt Paul hereingepoltert. Er tritt ganz dicht an mich heran. Seine Schienbeine berühren fast meine Schuhspitzen. Er hat Gift in den Augen. »Warum ein Stern?«
»Einfach so.«
»Fuck! Nicht einfach so! Warum den fucking Stern?«
»Mann, Paul, lass mich in Ruhe! Okay?«
»Es ist ihretwegen, oder?«
»Spinnst du? Nein, natürlich nicht. Ich wollte mir schon seit den Panzerknackern und Popeye ‘n Stern tätowieren lassen.«
»Lüg nicht rum, du dummes Stück Scheiße. Bist du schon so durch, dass du dir euer Symbol unter die Haut spritzen lässt? Glaubst du, das weiß ich nicht mehr? Sag mal, bist du noch ganz dicht? Lass dir sonst was machen, aber nicht das. Glaubst du etwa, sie hört von dem Ding und kommt reumütig zurück? Bist du jetzt total kaputt, oder was?«
Ich schaue zu dem Tätowierer, der immer noch mit dem Rücken zu uns steht. Paul interessiert ihn anscheinend genauso wenig wie die lila Fliege, die immer noch um seinen Kopf herumschwirrt.
»Ich mag Sterne. So einfach ist das und jetzt halt die Fresse.«
»Scheiße magst du! Und ich dachte, du wärst wieder zu gebrauchen. Ich verstehe nicht, was du an dieser Frau so liebst. Ich hau ab.«
Weg ist er. Whatever. Egal. Latte. Fuck it.
Der Tätowierer dreht sich um. Schlendert zu mir rüber. Setzt sich auf einen kleinen Alu-Hocker. Er guckt freundlicher als vorhin. Als würde er mich kennen.
»Alter, bist du dir sicher? Ich meine … also, ich finde den Stern schon so schwuchtelig, und dann noch für die Weiber. Die haben doch eh heutzutage alle Neurodermitis auf der Klitoris. Das Ding kotzt dich irgendwann an. Glaube mir. Ich weiß, wovon ich spreche.«
»Machen Sie’s bitte.«
Es tut nicht weh. Ist höchstens unangenehm. So, als ob jemand mit seinem Ellenbogen auf deinen Muskeln herumreibt.
»In den ersten Tagen Klarsichtfolie drauf. Nicht baden. Nur kurz duschen. Viel Heilsalbe und keine Sonnenbank.« Ich kann nicht hören, ob er noch etwas sagt. Die zufallende Tür retourniert seine Sätze wie Boris Becker früher Tennisbälle – bevor er anfing, andere Bälle in Besenkammern zu kneten. Bin draußen.
Ich liebe an ihr, dass sie Babytiere begrüßt. Hallo, sagt Sie! dann, egal, ob Sie! eines im Fernsehen, im Zoo oder auf der Straße sieht. Jedes Mal werden ihre Augen ganz groß, Sie! bekommt eine Gänsehaut. Dann sagt Sie! dieses zauberhafte »Hallo«. Dieses Hallo … Das liebe ich an ihr – du beschissener Kreditkartendieb.
Neun:
Date
Meine Freunde sagen, ich soll mich mal wieder mit Frauen treffen. Das lenkt ab und ich würde nichts verlernen. Sagen sie. Sie sagen auch Sachen wie: Ist besser so und alles hat seinen Sinn. Aber da höre ich nicht hin.
Die Idee mit den Frauen finde ich dagegen interessant. Einfach mal so eine Frau daten. Das muss doch möglich sein.
Ganz gut fürs Ego ist, dass ab dem Moment, wenn man wieder Single ist, sofort die noch auf dem Markt befindlichen Frauen anrufen. Es ist, als ob sie an ihrem Bett ein rotes Telefon haben. Ein »Junge zu haben!«-Telefon.
Anne ist die Erste, die sich bei mir gemeldet hat. Solche Gespräche laufen immer gleich ab: Man wollte sich mal melden. Was man denn so mache? Ob man mit dem oder der von früher noch was zu tun hat? Nach ungefähr 18 Minuten wird dann gefragt, wie es der Freundin geht. Nach dem Offenbarungseid – »Wir sind nicht mehr zusammen!« – bekommt man ein »Echt? Och Mensch, du. Das habe ich ja gar nicht gewusst!«, auf das besser kein Eid geschworen werden sollte, gefolgt von einem »Tut mir voll leid. Ich dachte, ihr bleibt ewig zusammen.« Dann verabredet man sich. Meistens zum »was trinken gehen«. Wir zum Videogucken. Bei mir.
Pünktlich eine halbe Stunde zu spät (die coole halbe Stunde) klingelt es um halb zehn an der Tür. Ich habe vorher aufgeräumt, den Müll runtergebracht und sogar extra meine Badewanne sauber geschrubbt. Was ich bisher nur gemacht habe, wenn ich in meinen Besuch verliebt war. Seit Sie! weg ist, und in meiner Single-Zeit davor, habe ich maximal für das Wochenende den direkten Weg von der Eingangstür zum Bett von Peinlichkeiten (dreckige Boxershorts) frei geräumt.
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