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Einarmig unter Blinden - Roman: Roman

Einarmig unter Blinden - Roman: Roman

Titel: Einarmig unter Blinden - Roman: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Jessen
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lässt ihren Hintern für meinen Geschmack etwas zu lange in der Luft verweilen. Endlich! Die Autotür ist zu und sie ist weg. Natürlich hat sie den Knopf nicht runtergedrückt.
    Noch bevor ich zu Hause ankomme, kriege ich von ihr eine SMS:
    [email protected]. meld dich bitte, war ein wunderschöner abend, kuss und schlaf gut – anne
    Ich habe plötzlich Angst, dass mich jemand von ihren Freunden gesehen hat. Dass Sie! erzählt bekommt, ich hätte mit einer Frau im Auto rumgeknutscht.
    Ich leide mittlerweile länger, als Sie! mich geliebt hat.
    Ich hole mir noch zwei McChicken bei McDonald’s. Fünf Euro. Unverschämtheit. In ein paar Stunden werden meine Kracher-Tipp-Freunde anrufen. Ich werde erzählen, dass alles ganz super war.

Zehn:
Studenten
    Durch die halogenbeleuchteten Gänge wehen dröge Dummheit und unbegründetes Selbstbewusstsein. Was ja fast immer Hand in Hand geht. Über dieselben Gänge huschen Menschen, die sich die ganze Nacht um die Ohren gechattet haben. Menschen, die gestern Flugblätter entworfen haben, die sie gleich im Copy-Shop vervielfältigen werden. Menschen, die auf Anrufe von Headhuntern warten. Menschen, die das Grundgesetz ganz »Du, grundsätzlich ja ganz dolle« und Deutschland »irgendwie so total spießig« finden. Menschen, die wissen, wie »bei den Bonzen da oben« der Hase läuft. Menschen, die schlecht riechen, Jutebeutel hinter sich herschlurfen und die meine Oma »langhaarige Bombenleger« nennt: Studenten.
    Meine Uni ist eine ehemalige Kaserne. Sechzehn Seminar-Rotklinkerbauten plus vier Hörsäle. Zwischen den Rotklinkerdingern sind zentimetergenau quadratische Grünflächen platziert. Kleine Wiesen, Oasen der Ruhe. Insgesamt also acht. Manchmal ist ein kleiner Teich eingelassen oder ein Baum hinbefohlen worden. Alles ist frisch renoviert (wie gesagt, bis auf die Studenten). In den Gebäuden ist alles weiß gestrichen. Noch nicht vergilbt. Die Tafeln in den Seminarräumen sind dreimal so groß wie die, die man aus seiner Schulkrankheit kennt. In jedem Raum hängen große Digitaluhren. Sie zeigen mit roten Zahlen Uhrzeit, Wochentag und Datum an. Die Hörsäle sind riesig, halb gläsern. Die Sitze sind mit grünem Stoff gepolstert. Keiner der Kurse, die ich besuche, ist überfüllt. Man kann direkt auf dem Campus parken. Trotzdem wird jeden Tag von Campus e.V. oder ähnlich kaputten Menschen gegen die unmenschlichen Studienbedingungen demonstriert oder dazu aufgerufen.
    In meinen Studiengang musste ich mich reinklagen. Mein Abi-Schnitt war zu schlecht (2,5). Sich reinzuklagen funktioniert so: Man meldet sich für einen Studiengang an. Wird abgelehnt. Geht zu einem Anwalt. Gibt dem sein Abiturzeugnis, seine Adresse und 1.500 Euro. Der verklagt die Schweine-Uni. Eine so genannte »Kapazitätsklage«: Wollen Sie ernsthaft behaupten, dass für meinen Mandanten nicht noch ein Stuhl in den Hörsaal gestellt werden kann? Beweisen Sie das! Weil das selbstredend nicht zu beweisen ist und die deutschen Universitäten für solche Spielchen kein Geld haben, rufen sie dich an und gratulieren herzlich zu deinem Studienplatz. Fast jede Uni erwartet solche Klagen, darum werden meistens zwanzig Plätze für Kläger freigehalten.
    In den Einführungswochen, in denen man »Neuer« oder »Ersti« genannt wird, die Uni im Rahmen einer Rallye gezeigt bekommt und seinen Stundenplan gemacht kriegt, muss man auch traditionell seinen schrecklich anhänglichen, aus dem Süden zugezogenen Sitznachbarn (»Was machst du denn so? Was machste denn heute Abend?«) vorstellen, sich mit Sekt/O-Saft betrinken und Unmengen von Negerküssen essen, die ein Tutor (meist ein hässlicher Typ aus einem oberen Semester, der glaubt, hier Erstsemesterfrauen aufreißen zu können, weil die noch nicht wissen, was für ein Loser er ist) mitgebracht hat. Als wir das endlich hinter uns hatten, fragte man uns, ob uns durch Wartesemester oder Numerus clausus die Ehre zuteil wurde, hier studieren zu dürfen. Mein »Reingeklagt« kam nicht toll an. Solche möge man hier ja eigentlich gar nicht, erdreistete sich der – das Kapital doof findende – Tutor. Zustimmendes, unterwürfiges Gemurmel der neuen Freigeister. Mein Konter, dass – wenn jemand wie er so etwas sagt – ich das nur zu gerne annehme, ist der Grund, warum bis heute niemand mein Referats- oder Lernpartner sein möchte. Tutoren sind wirklich ausnahmslos ein schlimmer Menschenschlag. Potenzierte Schulzeitstreber. Doch in der Uni dürfen sie Seminare

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