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Einarmig unter Blinden - Roman: Roman

Einarmig unter Blinden - Roman: Roman

Titel: Einarmig unter Blinden - Roman: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Jessen
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Man weiß ja nie.
    Die Filme habe ich schon nachmittags geholt. Traffic und The Mexican. Das Aussuchen war monsterschwer. Nicht zu romantisch, nicht zu brutal und auf keinen Fall irgendwie erotisch darf so ein erstes Date-Video sein. Nach einer knappen Stunde war ich schließlich so verzweifelt, dass ich mich von einem dort angestellten Pisa-Versager beraten ließ. Der meinte zwar, man dürfe eigentlich keine Brad-Pitt-Filme mit Frauen gucken, aber The Mexican würde gehen, weil er da nicht so gut wegkommen würde.
    Ich glaube, dass viele Jungs Anne hübscher als Sie! finden. Ich nicht. Anne ist größer und schlanker. Langes blondes Haar. Runder Hintern. Nur ihre Zähne sind ein bisschen schräg. Anne trägt eine ausgewaschene Jeans, Sneakers und einen grauen Kapuzensweater mit Zipper von Duffer. Typisches Frauen-Video-Outfit.
    »Ich habe uns eine Flasche Prosecco mitgebracht!«
    »Toll«, sage ich. Ich halte das Ganze inzwischen für keine gute Idee mehr.
    Wir setzen uns auf mein Bett. Sie packt die zur Auswahl hingelegten Filme weg. Öffnet den Prosecco. Fängt an zu erzählen. Dass sie gerade seit zwei Tagen in einer Werbeagentur arbeitet und ihrer Kollegin – voll peinlich – vergessen hat, einen Wrap aus der Kantine mitzubringen, aber dass sich die dumme Zicke mal nicht so haben solle. Dass sie nicht so gerne in den und den Club geht, weil man da nicht die tiefsinnigen Gespräche wie in dem und dem Club führen kann. In den Erzählpausen schüttet sie den Prosecco in sich hinein und befiehlt mir leicht beleidigt, doch auch endlich was zu trinken. Eine gute halbe Stunde, und die Flasche Düsseldorf-Schampus ist leer. Später ist sie rosa angelaufen wie ein Kinderfilmschwein. Redet viel zu laut über Problemzonen und fasst sich ständig an ihre viel zu dürre Hüfte. Ich habe zwischendurch unauffällig den Fernseher angeschaltet und gucke TV-Total – und es muss einiges passieren, damit ich mir dieses komplexive, unattraktive, früher nie zu Wort gekommene Nachmacher-X Stefan Raab antue. Das Muttermal an ihrem Hals wird immer größer und ein schwarzes Härchen wächst langsam heraus.
    Jetzt soll ich sie massieren. Da sie einen wirklich guten Körper hat und ich lange keine Frau mehr angefasst habe, stimme ich zu. Nach zwei Minuten schnurrt sie: »Mmmh, ist das angenehm. Immer wenn ich mich so richtig pudelwohl fühle, muss ich Pipi!«
    Absolut rekordverdächtig: Selbst um sich begrabschen zu lassen zu bescheuert. Ich rufe ihr noch hinterher, dass sie die Kabel, die von meinem Wohnzimmer durch den Flur zu meinem Badewannenfernseher gelegt sind, ruhig rausziehen kann, um die Tür zu schließen.
    »Och, ich bin da nicht so!«
    Dass ich aber da so bin, interessiert sie null.
    Ich höre, wie sie pinkelt. Rrrrrrrrrr!, macht es. Der Strahl peitscht direkt ins Wasser. Immer wieder Rrrrrrrr! und zwischendurch manchmal Palumpss. Bevor mein Mittagessen zum zweiten Mal meinen Mund erreicht, mache ich schnell den Fernseher lauter. Raab schreit »blasen« und »schlucken«. Das Publikum grölt.
    »Ich bin ja ganz schön rot«, sagt sie, als sie mein Schlafzimmer wieder betritt. Ich mag sie jetzt gar nicht mehr anschauen. Fühle mich vergewaltigt. Möchte duschen – mit Kernseife. Und dann endlich, viel früher, als ich es zu hoffen gewagt hätte, sagt sie: »Du, sei mir nicht böse, aber ich muss früh raus.«
    Sie will gehen!
    »Ich rufe mir ein Taxi.«
    »Okay, mach das. Das Telefon steht im Wohnzimmer.«
    »Oder fährt hier eigentlich auch eine U-Bahn?« In Frauensprache heißt das: Fahr mich nach Hause!
    »Soll ich dich fahren?«
    »Ist nicht nötig.« Dann ganz schnell: »Wäre aber supersüß!«
    Ja, genau.
    Es ist mir peinlich, dass im Radio nur Liebeslieder laufen. Ständig zappe ich herum. Wenigstens hält sie die Klappe. Und zum Glück wohnt sie nicht weit weg.
    Ich stelle den Motor nicht ab, nehme nicht mal den Gang raus. »Tschüss«, hustet es viel zu schnell aus mir heraus. »Tschöh, du.« Ich will ihr einen Kuss auf die Wange geben. Aber sie dreht ihren Mund im letzten Moment auf meinen. Mein Mund ist aber nur zu einem Viertel offen. Ihre Zunge prallt an meiner Unterlippe ab. Sie versucht es erneut. Ich schrecke zurück und pralle mit meinem Hinterkopf gegen das Seitenfenster.
    Irritiert, aber anscheinend angetörnt durch mein Verhalten stützt sie sich auf meinem Oberschenkel ab. »Meld dich mal bei mir«, haucht sie mir ins Ohr. »Schreib mir doch morgen ‘ne E-Mail in mein Office.« Steigt aus und

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