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Einarmig unter Blinden - Roman: Roman

Einarmig unter Blinden - Roman: Roman

Titel: Einarmig unter Blinden - Roman: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Jessen
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sie ein Stück weit blondtussig. Jenny ist stolz auf ihre Brüste. Paul auch. Wenn sie alleine sind, geht es gerade noch. Zusammen addieren sie sich zum totalen Klischee.
    Paul konnte Sie! nie ausstehen. Sie ist ein Vampir, hat er immer gesagt. Sonst nichts. Nur immer wieder, meist ungefragt: Sie ist ein Vampir. Genauso wie jetzt gerade auch. »Sie ist …«, setzt er bereits an.
    »Wie ein Vampir?«, werfe ich ein.
    »Ja, genau! Wie ein Vampir. Nimm mal meine Freundin – die gibt mehr, als sie nimmt.«
    »Also bist du der Vampir in eurer Beziehung?«
    Pause.
    »Nein, nein, bin ich nicht. Ich bin … ich meine … ich gebe ja auch.«
    »Aber du meintest doch eben, dass deine Freundin mehr gibt. Mehr als sie nimmt. Das heißt doch zwangsläufig, dass du mehr nimmst, als du gibst.«
    »Was? Mann! Ey … Ist doch egal.« Er versucht vom Thema abzulenken. »Ich finde jedenfalls, du brauchst etwas, was dich immer daran erinnert, wie mies es dir jetzt gerade geht. Eine Art Warnsignal, das dich davor warnt, die immer gleiche Scheiße noch mal zu bauen. Das dir zeigt, dass Liebesglück und Liebeskummer immer irgendwie zusammengehören.«
    Wir beschließen, mich tätowieren zu lassen.
    Paul klingelt nie. Zehn Minuten bevor er da ist, ruft er vom Handy aus an, damit er einen gleich auf der Straße einsammeln kann. Und nicht warten muss. Er fährt einen schwarzen BMW Z3. Seine Haare sind kurz.
    Etwas zu früh lasse ich die Tür beim Zuziehen los. Zu sanft schnappt sie ins Schloss. Statt des satten »Autotür zu«-Geräuschs gibt es dieses ungesunde, mechanische Klicken. Ich muss die Tür noch mal öffnen. Wieder ziehe ich sie zu. Diesmal schneller. Lasse nicht los, bevor die Tür eingerastet ist. Eine peinliche Sekunde wissen wir beide nicht so recht, wohin mit uns. Dann nimmt er mich energisch in die Arme.
    »Gut, dich mal wieder zu sehen, Alter.«
    »Stimmt«, sage ich. Obwohl es nicht ganz zutrifft. Ich treffe mich nämlich nur mit ihm, weil die wenigen Freunde, die mir geblieben sind, sich mit allen Mitteln um Treffen mit mir allein drücken. Sie können mein Sie !-Gejammer nicht mehr ertragen. Ich rede sie traurig. Und in der Not frisst der Teufel Fliegen. Das gilt auch für Paul und mich. Offensichtlich.
    Das Tattoostudio riecht nach Vaseline und Schweiß. Es gibt einen großen Raum, in dem auf Stellwänden Tattooentwürfe gezeigt werden. Hinten rechts in der Ecke ist eine Tür. Sie ist voller Sticker und nur angelehnt. Über ihr brennt eine weiße Lampe, auf der in roten Buchstaben On Air geschrieben steht. Aus dem Raum dringt ein unangenehmes Summen, welches mich an Zahnärzte und Paul an die Formel 1 erinnert.
    »Hier!«, schreit Paul. »Das musst du dir machen.« Er zeigt auf einen grün-orangen Kraken. Er hat vier Arme, die in der Form des Hakenkreuzes abgewinkelt sind. Der Krake hat riesige Augen. Paul lacht. »Willst du dich eigentlich noch vorher besaufen? Tut bestimmt weniger weh.«
    »Ich glaube nicht«, sage ich.
    Die Ecktür wird aufgestoßen. Ein höchstens 15-jähriges Mädchen, das aussieht wie Britney Spears ohne Implantate und eigenen Stylisten, kommt heraus. Tränen, bereit zum Kullern, nur von der Oberflächenspannung zurückgehalten, glitzern in ihren Augen. Ohne uns anzusehen, ohne sich umzudrehen, rennt sie aus dem Laden.
    »Nicht auf die Sonnenbank!«, ruft ihr ein Typ, der Tätowierer, nach. Und schickt noch ein leises »Schlampe« hinterher. Er ist Mulatte, winzig und, soweit ich erkennen kann, nicht tätowiert. Um seinen Kopf fliegt eine lila schimmernde Fliege. Immer wieder landet sie auf seinem krausen Haar, nur um gleich wieder abzuheben. Er scheint sie nicht zu bemerken. Oder es interessiert ihn nicht. Ich verstehe die Dreckskrake jetzt noch weniger.
    »Habt ihr euch entschieden?«
    »Ja. Ich will das Sternenband um den rechten Oberarm.«
    »Das kostet 600 Euro.«
    »Oh. Okay. Äh … Kann ich auch nur einen Stern, den dann aber etwas größer, für vielleicht 200 Euro bekommen?«
    »Joh logen. Das geht. Komm mit, Butsche.«
    Butsche ? Das ist irgendwie totales Anti-Tätowierfeeling, finde ich. Zu Mickey Rourke oder Robbie Williams hat bestimmt niemand Butsche gesagt. Ich trotte hinter ihm her. Fühle mich wie ein Boxer, der zum Ring geführt wird. Wenigstens jetzt. Einmal wenigstens. Ich ziehe mir meine Pullikapuze auf den Kopf, balle die Fäuste und spanne meinen Bizeps an.
    Mit einer Handbewegung macht er mir klar, dass ich mich in den Sessel in der Mitte des Raumes setzen soll. Der Raum

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