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Einarmig unter Blinden - Roman: Roman

Einarmig unter Blinden - Roman: Roman

Titel: Einarmig unter Blinden - Roman: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Jessen
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Geburtstag«, sagen jetzt drei oder vier aus der Geburtstagsgesellschaft.
    »Das ist mir scheißegal«, kommt zurück.
    Tobi will jetzt lieber mit Taten argumentieren. Er schleudert seine noch halb volle Bierflasche in die Richtung des Asis, verfehlt ihn aber um einen knappen Meter. Den Althirni interessiert das wenig. Im Gegensatz zu den Türstehern. Wir fliegen raus. Bis jetzt das Beste an diesem Abend.
    Vor dem Club beginnt umgehend die Standard-Jungsgruppe-rausgeflogen-Diskussion. Besoffene, dumme Sätze wie »Das können wir uns nicht gefallen lassen«, »Polizei rufen«, »Auf die Fresse hauen«, »Den anrufen, der ist voll heftig und macht die alle fertig« schwirren wie Schmeißfliegen durch die Luft. Während eines solchen Selbstbewichsens entfernt sich der durchschnittlich feige Jungsmob ganz nebenbei vom Tatort – damit es nicht wirklich Ärger gibt. Bis einer (der dann bis auf weiteres als Feigling gebrandmarkt ist) sagt: »Ist doch egal, was machen wir jetzt?« Das wäre heute Ollis Ding. Der hat Geburtstag und keine Brille mehr. Ihm würde das keiner übel nehmen. Aber Olli sitzt auf einer Bank und starrt ins Leere. Ich bin mir nicht sicher, ob er weiß, dass er nicht mehr in dem Strip-Laden ist.
    Ich will los. Zu Anna. Bin auf Entzug. Also übernehme ich die unehrenhafte Aufgabe: »Ist doch auch egal, was machen wir denn jetzt?« Erleichtert richten sich zehn Augenpaare (alle außer Ollis) auf mich. Es wird diskutiert. Was kann man nur machen? Ich halte mich raus aus der Diskussion. Ich will bloß den Pulk nicht auf die Idee bringen, in den Zin-C lub zu gehen. Ich warte auf eine Möglichkeit, mich abzuseilen.
    Die meisten wollen eine Bar- und Kneipentour machen. Der Rest passt sich an. Auf einmal süffelt Olli von seiner Bank: »Scheiß Geburtstag. Ich will sofort nach Hause.«
    Das ist meine Chance. »Okay«, sage ich. »Ihr sucht ihm noch ein Taxi und macht eure Tour. Ich bin noch im Zin -Club mit ein paar Freundinnen verabredet. Man sieht sich.« Mache kehrt und entferne mich, ohne Händegeschüttel, schnellen Schrittes.
    Ich stehe an der nächsten Hauptstraße und warte auf ein Taxi. Mit dem Handy kann ich keins rufen, denn nirgends ist ein Straßenschild zu sehen. Ein paar Laternen leuchten gelangweilt vor sich hin. Aber die Hochhäuser an beiden Straßenseiten, die aus einer RTL-2- Reportage über den armen Osten stammen könnten, verschlucken das Licht. Es fängt an zu nieseln. An jedem Gebäude sind Graffiti. Eines muss frisch sein. Es riecht nach Farbe.
    Licht. Ein Auto kommt. Es ist ein Taxi. Das gelbe Schild leuchtet. Es ist frei. Ich winke. Erst lässig. Je näher es kommt, umso hysterischer. Mit beiden Armen und vollem Körpereinsatz. Als es eigentlich schon vorbei ist, bremst der Wagen. Ein neues S-Klasse-Taxi. Wie sich das rentiert, will ich mal wissen. Ich steige ein.
    Ein älterer, sehr gut aussehender Mann mit grauem Haar bis auf die Schultern und mit arttypischer, brauner Lederweste sitzt am Steuer.
    »Können wir einen Sieger fahren?«, frage ich. Sieger fahren ist Fahrer-Slang. Bedeutet, dass der Taximann den Zähler nicht anstellt, einen für die Hälfte fährt – und das Geld schwarz einsteckt. Klappt immer.
    »Joach. Wo willst du denn hin, Junge?«
    »Zin- Club.«
    »Och nöh. Das’s zu weit für ‘nen Sieger, du. Machen wir lieber die Uhr an.«
    »Okay.«
    Er startet den Wagen. In diesem Moment reißt jemand die Tür auf.
    Ein Typ, der wohl auch auf der Geburtstagsparty war, aber keinen Piep gesagt haben kann, lässt sich zu mir in den Wagen plumpsen. »Hey, warte mal. Ich komme mit.«
    »Äh … warum denn?«
    »Ich habe keine Lust, mit den anderen mitzugehen. Ich kenne keinen von denen. Außerdem habe ich mehr Lust auf Disco. Und du meintest, du wärst da mit Weibern verabredet. Das klang besser.«
    »Und dann hängst du dich einfach mal ungefragt dran«, gleitet es aus mir heraus.
    »Ja, so kann man das sagen. Ich heiße übrigens Christoph.«
    Mein Name interessiert ihn nicht. Er ist eine schlechte Ausgabe von einem Christoph. Trägt einen grauen Nadelstreifenanzug, ein rotes Seidentuch unter seinem weißen Hemd und hat schwarze gewellte Haare. Christoph ist einer von der Sorte Mensch, die die erste Halbzeit ihres Lebens noch nicht hinter sich haben, aber schon so weit zurückliegen, dass sie nicht mehr gewinnen können.
    » Zin -Club«, knirsche ich dem Fahrer noch mal zu.
    »Joh«, ruft der und fährt los.
    Ich schaue krampfhaft nach draußen. Nicht zu viel reden.

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