Einarmig unter Blinden - Roman: Roman
zu Ferienparadies jetten und all inclusive leben kann? Doch der schöne Schein trügt, nicht erst, als ein nerviger Rentner eines Morgens im Pool treibt – denn keiner von ihnen ahnt, wer hier welches Spiel spielt …
Bitterböse, faszinierend und wie mit dem Skalpell geschrieben – ein abgründiges Lesevergnügen für alle, die den deutschen Bret Easton Ellis entdecken wollen.
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Neugierig geworden?
dotbooks wünscht viel Vergnügen mit der Leseprobe aus
Daniel Oliver Bachmann
ALL INCLUSIVE – Der Schein trügt
Roman
Alanya, Türkei
„Die Frau machte sichs irgendwie zu einfach. Sagte, schuld war ein Mangel an Folsäure. Beckmann fragte, was das heißt, und sie sagte, Folsäure sei dazu da, um … um … um was zu regeln im Körper, hab vergessen, was. Jedenfalls das Kind, ihr Kind, hatte zu wenig davon. Zu wenig Folsäure. Bei der Geburt kommt es raus mit offenem Rücken. Könnt ihr euch das vorstellen? Könnt ihr nicht. Die Hälfte vom Kopf fehlte auch, sagte die Frau. Das hat dem Beckmann zugesetzt, konnte man sehen. Hat von da an ständig an seiner Brille rumgefummelt. Und die Frau dann: Mein Kind lebte noch drei Stunden, und in der Zeit gab ich ihm die ganze Liebe dieser Welt. Wie, wollte Beckmann wissen, wie gaben Sie ihm die ganze Liebe dieser Welt, und die Frau, die Mama, sagte, ich war einfach voller Liebe, meine Liebe war unendlich groß. Wie sie das sagt, fang ich an zu heulen. Sitz auf dem Sofa und heul Rotz und Wasser und kann gar nicht mehr aufhören. Weil ich denke, das ist doch ungerecht. Weil ich denke, ich bin ganz, ich bin vollständig. Mir würde ein Bruchteil reichen von der ganzen Liebe dieser Welt. Mit einer Winzigkeit davon wäre ich zufrieden!“
Da sitzen wir und plappern. Plappern den Tag fort, wie wir das immer machen. Sitzen unter Palmen, wo wir immer sitzen, und das Meer rauscht, wie es immer rauscht. Welches Meer – da muss ich überlegen. Welches Land – da muss ich auch überlegen. Jedenfalls ist es warm. Klar ist es warm, es ist immer warm, wo wir sitzen und plappern, trinken und rauchen. Eigentlich verwunderlich, dass wir noch was zum Plappern haben, nach all der Zeit. Wir, das sind Ulrike und Frank, Gesine und Reinhold, Sanne und Simon, ich und Calvin. Alles Paare, na klar sind wir Paare. Nach außen wenigstens. Nach innen sind wir Singles. Calvin und ich haben vor fünf Jahren geheiratet, auf den Tag vor fünf Jahren, wir feiern heute Ochsenhochzeit. So nennt man das, wenn man keine Kinder hat. Man nennt es Holzhochzeit mit Kindern. Nach zehn Jahren feiert man Rosenhochzeit, ob mit oder ohne Kinder, das ist dann egal. Nach 15 Jahren Kristall, Porzellan kommt nach 20 Jahren. Silberne nach 25 Jahren, Goldene Hochzeit nach 50. Diamantene hat man nach 60, Gnadenhochzeit nach 70, und für eine Kronjuwelenhochzeit muss man 75 Jahre verheiratet sein. Ich bin jetzt 33, Calvin 35, wir sind also 103 und 105 Jahre alt beim Kronjuwelenjubiläum. Jetzt feiern wir erst mal Ochsenhochzeit, fünf Jahre heiliger Bund der Ehe.
Ulrike und Frank, Calvin und ich, wir haben uns am selben Tag kennengelernt. Beim Ultra-Speed-Dating. Frank ist der Jude-Law-Typ. Seine blauen Augen und die Lausbuben-Strubbelhaare, die nach allen Seiten wegstanden, aber perfekt arrangiert waren, hatten es mir angetan. Er sprach vom Kochen, klar sprach er vom Kochen, wenn er davon anfängt, geht das ohne Punkt und Komma. Frank kennt jede Kochshow, hat alle Sendungen in seinem BlackBerry programmiert, wenn die kommen, ist nichts anderes mehr wichtig. Dann gibtʼs höchstens Zoff mit Ulrike, die jede Talkshow sehen muss. Beim Ultra-Speed-Dating hatten Frank und ich eine Minute Zeit, und wir haben es vermasselt. Ich meine, ich habʼs vermasselt.
Das ist, was Frank zu mir sagte: „Was ich zum Kochen brauche, kauf ich auf dem Markt. Den Wein aber hole ich bei Aldi. Du machst Augen, aber ich sag dir, bei Aldi gibtʼs Spitzenqualität! Erst heute Morgen, glaub es oder nicht, hab ich einen Sauvignon blanc Burlwood aus Kalifornien für 2,99 ergattert, und einen Chianti Le Casine von Castellani für schlappe vier Steine. Schau dir die Autos an, die vor Aldi parken. Da steht der 7er BMW neben der S-Klasse. Die mit Geld haben es kapiert, die habenʼs mal wieder als Erste kapiert. Okay, du musst die Kartons selbst aufreißen, und in den Läden sieht es aus wie bei Hempels unterm Sofa. Dafür kriegst du große Qualität zum kleinen Preis. Ich persönlich hab keinen Bock, meine Kohle anderen in den Rachen zu
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