Einarmig unter Blinden - Roman: Roman
hämmert gesehen hätte. Ich antwortete: »Nein.« Was natürlich nicht stimmte. Sie schlug vor, die Wiederholung bei mir zu schauen, da sie gerade in der Nähe wäre, und dann könnte sie ja auch gleich bei mir pennen. Sie brachte etwas zum Frühstücken mit.
Meine Freunde sagen: »Wenn das erste Mal nichts passiert, hält sie dich für einen Gentleman. Wenn das zweite Mal nichts passiert, hält sie dich für schwul.«
Heute sind Anna und ich den ersten Abend getrennt. Sie geht mit Freunden in den Zin -Club, ich bin auf Ollis Geburtstag eingeladen. Olli denkt, dass es toll ist, seinen Geburtstag in einem Strip-Club zu feiern. Seine Gäste sehen das anders. Es ist nicht mal ein guter Club, Muschi Cat heißt der Schuppen und ist in dem gleichen Zustand wie die Moral eines Kinderschänders. Erbärmlicher als abscheulich. Es stinkt nach ungewaschenen Geschlechtsteilen, Schwäche und dreckigem Geld. Ein Partygast namens Tobi, den ich weiter nicht kenne, hat sich in der Toilette auf ein benutztes Kondom gesetzt. In der Mitte des Clubs räkelt sich eine Frau, die nie gute Jahre hatte, auf einer sich drehenden Scheibe, die mit Kunstrasen ausgelegt ist. Abwechselnd führt sie sich einen blinkenden Vibrator oder die Bierflaschen von Gästen aus der ersten Reihe ein. Olli ist schon jenseits. Er schreit nur noch wild gestikulierend »Live the dream!« oder fragt die arme Frau auf dem Pechrad: »Was ist der Sinn des Lebens?« Sie hat Angst vor ihm. Es ist viertel vor elf.
Happy Birthday.
Vorher waren wir noch zum Essen bei Olli eingeladen. Es gab Wein, Wodka, Bier und eine Tüte Chips, die schon leer war, als ich angekommen bin. Wir, das sind zwölf Jungs.
Außer Olli kenne ich hier niemanden. Und nicht mal ihn kenne ich wirklich. Olli wohnt seit Jahren gegenüber von meinen Eltern. Als Kinder haben wir zusammen gespielt. Jetzt tun wir noch so, als ob wir ganz eng wären. Treffen uns aber eigentlich nur zu Geburtstagen und telefonieren einen Tag nach Weihnachten. Wenn ich einem Fahndungsbildmaler bei der Polizei Olli beschreiben sollte, könnte ich es nicht. Wenn uns jemand fragt, wie lange wir uns kennen, sagen wir: »Schon immer!«
»Jungenabend ist doch cool«, hat Olli gesagt, als er mich eingeladen hat. Ich glaube, er würde gerne auch Mädchen einladen, aber er kennt keine. Was seltsam ist, denn bei Jungs ist er sehr beliebt. Normalerweise hält sich das ja die Waage: Entweder finden einen Frauen cool, weil man auch bei den Jungs was zu sagen hat. Oder Männer finden einen Typen gut, weil er ein Frauentyp ist und für sie was abfällt.
Niemand weiß genau, wie alt Olli heute wird.
Anscheinend hat die Stripperin (was die falsche Bezeichnung für sie ist, da sie die ganze Zeit komplett ausgezogen ist) mitgekriegt, dass heute jemand Geburtstag hat. Hysterisch schreit sie: »Wer hat Geburtstag, wer hat Geburtstag?« Obwohl Olli an einem Tisch in der ersten Reihe sitzt, kriegt er von all dem gar nichts mit. Aber einer der wenigen Gäste außer uns brüllt plötzlich und unnötigerweise »Der da!« und zeigt auf das Geburtstagskind.
Der wahrscheinlich osteuropäische Nacktfrosch hat ihre vorherige Angst vor dem sturztrunkenen Schreihals offensichtlich vergessen und beginnt sofort auf Olli zuzurobben. Vergebliche Liebesmüh – der kriegt immer noch nichts mit. Noch auf der Scheibe liegend streckt sie ihren rechten Arm nach ihm aus, zieht ihm die Brille von der Nase und robbt schnell wieder in die Mitte. Dort angekommen führt sie sich rhythmisch erst die Brille mitsamt dem linken Bügel vaginal und dann den Bügel rektal ein. Als wäre dies nicht schon schlimm genug, singt sie dabei auch noch: »Hoch soll er leben.« Alle müssen lachen. Nur Olli nicht. Der kann nichts mehr sehen und ruft abwechselnd »Das ist nicht witzig!« und »Wo ist meine Brille?«.
»Das willst du nicht wissen«, grölt der Kerl, der ihn verraten hat. Ein Typ, der mir vorhin als Martin vorgestellt wurde, schläft auf seinem Tisch und schwitzt wie ein Schwein.
Das, was mal eine Frau war, stellt sich auf ihre Scheibe und ruft: »Hey, alle mal herhören. Wer will die Brille kaufen? Wer am meisten bietet, gewinnt.«
»Hier!«, ruft der nervige Gröl-Heini. »Ich!« Rennt nach vorne, wirft fünfzig Euro auf den Kunstrasen, steckt die Brille ein und geht zurück an seinen Tisch. Als er sich setzen will, ruft Tobi: »Hey, Alter, gib dem Jungen bitte seine Brille wieder.«
»Nö«, entgegnet der, »da ist lecker Muschi dran.«
»Komm, der hat doch
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