Eindeutig Liebe - Roman
betrachte dabei Lydia. Aus Höflichkeit setze ich den Small Talk fort, aber ich habe Mühe, mir ein Lachen zu verkneifen, wenn ich mir vorstelle, wie sie aus schwindelerregender Höhe von der Klippe ihrer topmodischen Schuhe stürzt.
»Und, auf was beläuft sich der Schaden?«, frage ich. Ich tue so, als würde mich das tatsächlich interessieren, aber der Gedanke an den gewaltigen Berg Arbeit, der noch vor mir liegt, lenkt mich ab.
»Na, sie waren von Kurt Geiger, Süße. Also so ungefähr hundertzwanzig Pfund«, antwortet sie mit einem gewaltigen Seufzer.
Ich fühle ihren Schmerz.
Koffein. Ich brauche dringend Koffein. Langsam stehe ich auf und gehe zu unserem Getränkeautomaten. Dort hat sich bereits eine kleine Schlange gebildet, und ich höre das übliche hohle Geschwätz. Ein Gespräch dreht sich darum, dass uns in diesem Jahr ein richtig heißer Sommer bevorsteht, weil die letzten drei schrecklich waren; in einem anderen wird ergründet, wie viele freie Tage im Jahr okay sind und ab wann man nur noch habgierig wirkt; und im letzten – und furchtbarsten – geht es um Radarfallen und darum, wie unfair es ist, dass Mark Watson einen Strafzettel dafür bekommen hat, dass er hundert gefahren ist, obwohl er doch versichert hat, es seien nur sechsundneunzig gewesen. Endlich bin ich an der Reihe.
Schnell nehme ich mir einen großen Becher Tee mit einem Stück Zucker, kehre an meinen Schreibtisch zurück und fange mit der Arbeit an. Doch schon bald werde ich durch ein lärmendes Durcheinander gestört, das in dem Bereich hinter mir ausbricht.
Unser Großraumbüro ist weitläufig und offen. Mein Schreibtisch ist einer von acht, die in der Mitte des Raumes stehen und durch niedrige Zwischenwände voneinander getrennt sind. Links von meinem Schreibtisch sind drei kleine Büros mit eigenen Türen und Fenstern. Den Rest des Raumes nehmen die üblichen Verdächtigen ein: weitere Schreibtische, lärmende Faxgeräte, Wertstofftonnen und eine riesige Kaffeemaschine. Unser Boss hat sein Büro im Stockwerk über uns; eine eigene kleine Treppe führt dorthinauf wie zu einem Baumhaus.
Ich starre weiter auf meinen Bildschirm, doch es fällt mir schwer, mich zu konzentrieren. Wahrscheinlich geht es sowieso um nichts, was mich interessieren würde. Normalerweise kann ich alles andere sehr gut ausblenden, aber da wird geredet und geredet.
Konzentrier dich! Konzentrier dich!
Plötzlich stößt Lydia ihren spitzen Ellbogen gegen meine Schulter, und ich bemerke, dass sie neben meinem Schreibtisch steht und mich angrinst. Sie hat eine seltsam verzerrte Miene aufgesetzt, die wohl unauffällig sein soll. Sie sieht aus, als wollte sie sagen: Guck mal hinter dich , aber ohne es laut herumzubrüllen, was sie jedoch eindeutig am liebsten täte.
Um Gottes willen, denke ich noch, während ich widerstrebend meinen Sessel um hundertachtzig Grad drehe. Doch dann entdecke ich mitten in dem Tumult vor mir eine Gestalt. Sie umgeben – oder besser gesagt: sie bedrängen – lauter aufgeregte Kolleginnen. Alles, was ich wirklich erkennen kann, ist ein Grünton. Es ist ein saftiges Grün.
Mein Herz setzt einen Schlag aus, dann noch einen. Drei wäre vielleicht übertrieben.
Zwei Kolleginnen treten zur Seite, und als mein Blick langsam von dem T-Shirt weiter nach oben wandert, trifft er auf ein bekanntes Gesicht.
Du heilige Scheiße. Es ist der Eichhörnchen-Mann!
Und falls das überhaupt möglich ist, sieht er in dem grellen Licht, das sehr an eine Zahnarztpraxis erinnert, noch besser aus als vorhin im Zug. Gleichzeitig macht er jedoch einen entschieden genervten Eindruck.
Aber wieso ist er hier? Zum Teufel, wer ist er? Soll er interviewt werden? Oder repariert er hier etwas?
Nein, für all das sieht er viel zu weich aus. Außerdem scheint ihn jeder hier zu kennen. »Lydia, wer zum Teufel ist das?«, flüstere ich ihr ins Ohr. Mein rechtes Bein zittert leicht.
»Das ist Nick«, flüstert sie augenzwinkernd zurück.
Natürlich. So was Blödes.
Mein erster Arbeitstag war Nicks erster Urlaubstag, und darum ist er der einzige Mitarbeiter bei The Cube , den ich noch nicht kenne. Dank des Küchenplans weiß ich über ihn, dass er dienstags Milch und Zucker holen muss und dass er Pfefferminztee mit Kümmelsamen trinkt. Nach dem, was die anderen über ihn erzählt haben, hatte ich den Eindruck, dass er ein angeberischer, selbstverliebter Blödmann sein muss.
So wie’s aussieht, hat Kevin aus der Buchhaltung während Nicks Abwesenheit die
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