Eindeutig Liebe - Roman
er brummt: »Ich wollte mir nur ’n Becher Tee kaufen.«
Der Lift fährt mich in den dritten Stock. Er ist eng und riecht oft nach Alleskleber. Ich weiß nicht, woran das liegt. Niemand scheint das zu wissen.
»Hallo, Hübsche!«, ruft Lydia in derselben Sekunde, in der ich das Büro betrete. Dann kneift sie mir leicht in die linke Wange – was sie so ziemlich jeden Morgen tut, seit ich zum ersten Mal einen zittrigen kleinen Bambifuß in dieses Großraumbüro gesetzt habe –, und ich freue mich, nicht mehr darüber nachdenken zu müssen, dass ich immer wieder jemanden stehen lasse, der eindeutig Hilfe braucht.
Lydia ist die Redaktionskoordinatorin. Das ist ein ziemlich wichtig klingender Titel für jemanden, der an allem herumwerkelt und die ganzen nervtötenden Dinge erledigt, um die sich sonst niemand kümmern will. Ich glaube allerdings, dass sie zu mehr in der Lage wäre.
Sie hat einen wilden Haarschopf aus dichten schokobraunen Locken über einem sommersprossigen Gesicht und die durchdringendsten grünen Augen, die ich je außerhalb eines Bilderbuches gesehen habe.
Sie ist ein knuddeliger Typ, der viel Wärme ausstrahlt – also genau das, was man braucht, wenn man irgendwo einen neuen Job beginnt. Obwohl sie nur drei Jahre älter ist als ich, hat sie mich direkt unter ihre Fittiche genommen.
»Hallo, Lyds, schönes Wochenende gehabt?«, erkundige ich mich und gehe mit einem breiten Lächeln auf den Lippen zu meinem Schreibtisch.
Wie eine Fee schwebt Lydia um mich herum und schafft Dinge aus dem Weg. Bevor ich weiß, wie mir geschieht, hängt meine Jacke ordentlich an der Garderobe, und meine Liste mit den Aufgaben der Woche liegt vor mir – alles perfekt sortiert. Im Stillen frage ich mich, wie viele Arme sie eigentlich hat.
»Absolut großartig, Si. Du errätst nie, was Freitagnacht passiert ist«, beginnt sie, und ein schelmisches Lächeln huscht über ihr Gesicht.
Schnell lese ich drei der Post-its, die auf meinem Schreibtisch kleben. Und nein, ganz bestimmt werde ich niemals erraten, was Freitagnacht passiert ist.
Obwohl ich Lydia noch nicht lange kenne, würde ich sagen, dass ihr Privatleben sich um zwanzig Zentimeter hohe Absätze dreht, um ein großzügiges Quantum Jack Daniel’s, das Bestechen von DJs mit Bargeld – damit sie Achtzigerjahre-Schmalzmusik spielen – und um das Aufsuchen von Dönerbuden auf dem Heimweg, in denen sie dann alle zum Lachen bringt. Und das sind nur einige der Geschichten, die sie mir erzählt hat.
Sie beugt sich näher und flüstert mir ins Ohr, obwohl ich mir ja gar keine Mühe gegeben habe zu erraten, was Freitagnacht passiert ist. Es könnte alles und nichts sein. Lydia redet immer so aufs Geratewohl.
»Ich habe in dem Salsaklub am Leicester Square Hausverbot bekommen«, teilt sie mir mit, dann kichert sie und tritt stolz einen Schritt zurück, eine Hand an ihrer kurvenreichen Hüfte.
Wie, frage ich mich, schafft man es, in einem Salsaklub Hausverbot zu bekommen? Stürmische Drehungen im Uhrzeigersinn? Ein High-Heels-Amoklauf? Ich erwidere nichts, aber ich sehe sie an und ziehe dabei eine Augenbraue hoch. Ich kann es kaum erwarten, die Geschichte zu hören.
»Na ja, wir hatten schon ein bisschen viel getrunken, bevor wir da ankamen; das war kein guter Start. Und dann bin ich die Treppe zu den Toiletten runtergefallen. Sie dachten, ich wäre stockbesoffen, aber das war ich gar nicht. Ich glaube, es lag an meinen Schuhen …«, behauptet sie und klingt dabei leicht beschämt.
Gelangweilt schalte ich meinen Computer ein, und er surrt los wie ein startendes Flugzeug. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er sich so nicht anhören sollte.
»Himmel, hast du dich verletzt?«, heuchle ich Interesse. Die Geschichte ist nicht so aufregend, wie ich zuerst dachte, und ich habe heute viel zu tun.
»Nicht wirklich. Aber mein Absatz ist abgebrochen, und das war auf dem Nachhauseweg ziemlich lästig«, fügt sie hinzu und wickelt sich eine lange dicke Locke um den Zeigefinger. Dabei sieht sie zu unserem Bürogoldfisch Dill hinüber, der wiederum sehnsüchtig durch das Glas nach draußen schaut.
Rhoda – unsere Werbetexterin – hat Dill vor sechs Monaten gekauft und behandelt ihn, als wäre er ihr Baby. In seinem Becken ist sogar Spielzeug. Ja, es gibt Spielzeug extra für Fische, das im Becken treibt. Rhoda kauft so etwas am Wochenende und bringt es dann montags mit. Es wundert mich, dass sie noch keine Tafel mit dem Alphabet aufgehängt hat.
Ich lächle breit und
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