Eine andere Art von Ewigkeit: Lilith-Saga: 2 (German Edition)
wurde, als die Sicherheitsbrillen anprobiert wurden.
Dr. Müller, der Werksleiter, stand ebenfalls parat. Er war blass, übernächtigt, wirkte aber wie ein Mann, der seine Entscheidung getroffen hat. Clement suchte Augenkontakt mit ihm, um sich dennoch zu vergewissern, und Müller senkte als Antwort einmal leicht seinen Kopf.
Na bitte! – der Verlust von zweihunderteinundsechzig Menschenleben schien Müller nicht mehr weiter aufzuregen - zweihundertdreiundsechzig Menschenleben, wenn man Johannes und seinen Vater dazu zählte.
Clement trat an ein Rednerpult, er nahm ein Glas Sekt in die Hand und ließ seine Augen über die Belegschaft und seine Familie schweifen. Sofort trat absolute Stille ein.
Clement lächelte.
Wie immer genoss er die Zeit, bevor er jemanden umbrachte, ganz besonders. Und diesmal brachte er eine ganze Menge Leute um. Das war zwar nicht sehr sportlich, andererseits aber durchaus human, denn er hatte dafür Sorge getragen, dass der Übergang ins Totenreich für alle sanft ausfallen würde – er war schließlich kein Unmensch.
Insgesamt betrachtet, im Rahmen der festlichen Veranstaltung, hatte diese Art zu Morden durchaus ihren eigenen Reiz. Es war schon fast ein erhabenes Gefühl, das er jetzt verspürte.
„Lieber Vater, lieber Johannes, sehr geehrter Herr Dr. Müller, sehr geehrte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter!“, setzte Clement an. „In dieser Anlage arbeiten die besten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Welt. Wir streben danach, unerschöpfliche Energie zu erzeugen, um den Fortschritt der Zivilisation zu sichern. Wir, die Familie Hohenberg, glauben an Ihre Arbeit und an die Vision, die uns alle vorantreibt.
Ich bin stolz und überaus glücklich, dass mein Vater und mein hochgeschätzter Bruder persönlich hier sind, weil sie unsere Leidenschaft, unsere Verantwortung für die Gesellschaft, teilen.
Meine Familie wird ab sofort unsere Forschungen unterstützen und der Erfolg unserer Mühen wird uns alle belohnen.“
Clement wartete den Beifall ab, der erklang und fuhr dann fort: „Ich erhebe mein Glas auf meinen Vater und meinen Bruder, aber auch auf alle, die unseren Erfolg durch ihre Begabung und ihr Genie erst möglich machen“
Clement wies hinüber zu dem Steuerpult, vor dem der Werksleiter stand. „Bitte setzen Sie jetzt Ihre Brillen auf und lassen Sie uns auf die Remanenten anstoßen, während Herr Dr. Müller, der Kopf unserer Forschungseinrichtung, die Vorbereitungen trifft, um Sie an unseren bisherigen Ergebnissen live teilhaben zu lassen.“ Clement prostete in die Runde und wartete, bis alle getrunken hatten. Insbesondere achtete er dabei auf seinen Vater und auf Johannes. Das in dem Sekt aufgelöste Betäubungsmittel war vollkommen geschmacksneutral und extrem schnell wirkend. Es würde in zwei Minuten seinen Zweck erfüllt haben.
Dann blickte er zu Müller hinüber, der den eigens zu dieser Vorführung angebrachten, albernen roten Knopf drückte. Ein leises Surren ertönte, als die Anlage hochfuhr.
Clement stellte sein unangetastetes Glas ab und setzte sich seinen eigenen Sichtschutz auf. Er blickte ein letztes Mal in die Runde. Die Belegschaft wirkte durch die schwarzen Brillen seltsam gleich. Jede Individualität schien verloren. Sie alle glichen Insekten. Fleißigen Bienchen, die ihre Arbeit getan hatten und jetzt nicht mehr gebraucht wurden.
Er wandte sich seinem Vater und Johannes zu.
Auf Wiedersehen! Schlaft gut und schöne Träume! - dachte er.
Laut sagte er: „Auf die Zukunft!“
20
Vor meinen Augen waberten rote Schlieren, meine Lunge brannte unerträglich, jeder Schritt war eine einzige Qual. Ich wagte es nicht, meinen Trott zu verlangsamen, aus Furcht, nicht mehr weiterlaufen zu können.
Ich überquerte den Parkplatz der Anlage und schleppte mich mühsam bis zum Haupttor. Hier musste ich anhalten.
Ich klammerte mich mit beiden Händen an einem Schild fest, welches neben der Pförtnerloge angebracht war. Ein rot durchgestrichenes Handy war darauf abgebildet. Darunter stand: Sicherheitszone - eingeschränkter Empfang im gesamten Bereich .
Ich wartete, bis ich einigermaßen Luft bekam.
Ich richtete mich auf.
Die Pforte war unbesetzt.
Ich ging zum Drehkreuz, durch das man auf das Gelände gelangen konnte. Es war arretiert und ließ sich nicht bewegen, so sehr ich mich auch dagegen stemmte.
Unbeholfen kletterte ich darüber, rutschte ein paarmal ab, und hatte es schließlich geschafft.
Nirgends war eine Menschenseele zu sehen.
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