Eine andere Art von Ewigkeit: Lilith-Saga: 2 (German Edition)
Vorraum zu einer Galerie.
Ich ging los und trat bis an das feuerverzinkte Geländer heran. Das Summen war hier wesentlich lauter.
Unter mir erstreckte sich eine nicht enden wollende Halle.
In ihrem hinteren Bereich standen seltsame Apparaturen, abgeteilt durch eine raumhohe Glaswand. Im vorderen Bereich war sie voller Menschen. Menschen, allesamt mit schwarzen Brillen, die am Boden lagen und sich nicht rührten. Einige hielten Sektgläser in den Händen.
Dazwischen befand sich eine Art gigantisches Steuerpult. Eine leblose Figur in einem weißen Kittel lag darauf. Auf dem Kittel war ein großer roter Fleck. Jemand hatte diesem Mann durch die Brust geschossen.
Ich blickte über den ganzen Raum. Ich konnte Johannes nicht sehen. Bei der Vielzahl der Körper war es mir unmöglich, ihn auszumachen.
Eine stählerne Treppe führte nach unten. Ich stolperte hinab, stieß unsanft gegen den Handlauf und fiel die letzten Stufen, bis ich hart auf dem Boden aufschlug.
Ich brauchte, bis ich mich aufrichtete. Schwankend stand ich da.
Niemals würde ich es schaffen, unter hunderten von Menschen, deren Gesichter zudem durch Brillen verdeckt waren, Johannes rechtzeitig zu finden.
Vielleicht war das auch nicht mehr nötig. Vielleicht waren alle in diesem Raum bereits tot.
Schwindel ergriff mich, kalter Schweiß trat mir auf die Stirn.
In der Mitte der Körper, die wie hingestreut wirkten, stand ein Rednerpult auf einem erhöhten Podest. Johannes und sein Vater waren die Ehrengäste des heutigen Tages. Sie mussten sich in direkter Nähe des Podiums aufgehalten haben.
Ich rannte zwischen den Leibern hindurch, blieb ein paar Mal hängen und strauchelte. Überall lagen zerbrochene Sektkelche. Glas knirschte unter meinen Füßen.
Schließlich hatte ich das Pult erreicht. Suchend sah ich mich um. Frauen und Männer, mehrere in weißen Kitteln, jung und alt und dann graue Haare. Der Vater von Johannes.
Ich war nicht mehr müde, ich war nicht mehr erschöpft. Einen Augenblick später war ich dort. Neben Paul Hohenberg lag ein junger Mann mit dichtem schwarzem Haar. Ich zog seine Brille herunter und wusste bereits vorher, dass es sich um Johannes handelte.
Ich bettete seinen Kopf auf meinen Knien und fühlte den Puls an seiner Halsschlagader. Sein Herz schlug leise, aber regelmäßig. Ich war noch rechtzeitig gekommen. Johannes lebte. Er war nur bewusstlos.
Das Summen in dem Raum ging in ein tiefes Brummen über. Der Boden unter mir vibrierte leicht und dann immer stärker. Ich vernahm ein Zischen und als ich zu den Apparaturen hinter der Glaswand blickte, erschienen zuerst kleine, dann immer größere Strahlen, die sich zu geometrischen Mustern verbanden.
Die Qualität der Strahlen veränderte sich. Sie wurden zunehmend heller und dichter. Blitze schossen heraus, zuckten wie lebendige Wesen durch den Raum und bildeten schließlich einen Ring aus gleißend weißem Licht.
Meine Augen schmerzten, ich befürchtete, blind zu werden.
Ich nahm eine der Brillen von einem leblosen Körper und setzte sie mir auf.
Im Zentrum des Lichtrings erschien ein zaghaftes rotes Leuchten, das sich schrittweise verstärkte, bis es wie ein bösartiges Auge glühte. Wie das Auge des Raben, nur tausendfach größer.
Schnell! Wir mussten hier raus. Etwas Schreckliches würde hier passieren.
Panisch begann ich, Johannes zu rufen. Er reagierte nicht. Ich schüttelte ihn, zunächst vorsichtig, dann immer härter. Sein Kopf rollte kraftlos hin und her. Ich schlug in sein Gesicht, mein Handabdruck zeichnete sich auf seiner Wange ab, doch er blieb bewusstlos.
Von Ferne her erklang eine Kirchenglocke.
Sie läutete zwölf Mal.
Draußen ertönten zwei Schüsse.
21
Der Hubschrauber setzte auf dem Boden auf. Cunningham kletterte als Erster hinaus. Er half Elisabeth beim Aussteigen.
Die Rotorblätter drehten nach. Cunningham und Elisabeth eilten gebückt unter ihnen hindurch. Am Rande des kleinen Landeplatzes blieben sie stehen. Unter ihnen, keine tausend Meter entfernt, erstreckte sich die Remanenten-Anlage.
Elisabeth konnte ihre Ungeduld kaum zügeln. Ihr Gesicht war gerötet. Sie schirmte ihre Augen mit der Hand gegen die Sonne ab, stellte sich auf Zehenspitzen, um besser sehen zu können.
Der Schwung der Rotorblätter wurde geringer. Schließlich hörten sie auf, sich zu bewegen. Stille trat ein.
Cunningham drückte Elisabeth an sich und sie ließ es geschehen. „Willst du alles genauer sehen?“, raunte er ihr zu. Bevor sie antworten
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