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Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan

Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan

Titel: Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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kannst ihn besuchen, aber was besagt das schon? Er wird dir nie etwas erzählen. Solltest du ihn jemals etwas fragen, dann wird er sich sofort in sein Schneckenhaus zurückziehen und einfach so tun, als verstehe er dich nicht.«
    Bill sagte überzeugend, er sei schon des öfteren Leuten wie ihm begegnet. Sie erwecken den Eindruck, eine Menge zu wissen. Doch sollte man sich seiner Meinung nach mit solchen Leuten nicht weiter abgeben, weil man dieselben Informationen früher oder später genausogut von jemand anderem erhalten könnte, der weniger Schwierigkeiten machte. Für schrullige alte Käuze, meinte er, habe er weder Zeit noch Geduld, außerdem sei es durchaus möglich, daß der alte Mann nur vorgab, sich mit Heilpflanzen auszukennen, während er in Wirklichkeit vielleicht nicht mehr wußte als jeder andere auch.
    Bill redete drauflos, aber ich hörte nicht zu. Meine Gedanken kreisten immer noch um den alten Indianer. Er hatte gewußt, daß ich bluffte. Ich erinnerte mich an seine Augen. Sie hatten wirklich geleuchtet.
    Ein paar Monate später kehrte ich zurück, um ihn zu besuchen, weniger in meiner Eigenschaft als ein an Heilpflanzen interessierter Anthropologe, als vielmehr von einer unerklärlichen Neugier getrieben. Wie er mich angesehen hatte, so etwas war mir in meinem Leben noch nicht passiert. Ich wollte wissen, was sich hinter diesem Blick verbarg. Das wurde bei mir beinah zur fixen Idee. Ich begann zu grübeln, und je mehr ich darüber nachdachte, desto ungewöhnlicher erschien es mir. Don Juan und ich wurden Freunde, und ein Jahr lang stattete ich ihm zahllose Besuche ab. Ich fand seine Art sehr beruhigend und seinen Humor ausgesprochen wohltuend; vor allem aber spürte ich in seinen Handlungen eine ruhige Folgerichtigkeit, die mich zutiefst verblüffte. In seiner Gegenwart empfand ich ein eigenartiges Vergnügen, und gleichzeitig fühlte ich mich seltsam unbehaglich. Seine bloße Anwesenheit zwang mich zu einer gründlichen Revision meiner Verhaltensmuster. Ich war, wie wahrscheinlich jedermann, dazu erzogen worden, den Menschen als ein im wesentlichen schwaches und fehlbares Geschöpf anzusehen. Was mich bei Don Juan beeindruckte, war die Tatsache, daß er nicht im geringsten schwach und hilflos war, und schon unser Zusammensein führte garantiert zu einem unvorteilhaften Vergleich zwischen seinem Verhalten und dem meinen. Eine der vielleicht eindrucksvollsten Bemerkungen, die er damals mir gegenüber machte, bezog sich auf unseren wesensmäßigen Unterschied. Vor einem meiner Besuche bei ihm war ich recht unglücklich über den ganzen Verlauf meines Lebens und über eine Reihe bedrückender persönlicher Konflikte gewesen. Als ich bei ihm eintraf, war ich verstimmt und nervös.
    Wir sprachen über meine große Wißbegierde; aber, wie üblich, bewegten wir uns auf verschiedenen Ebenen. Ich meinte das akademische, die Erfahrung transzendierende Wissen, während er vom direkten Wissen über die Welt sprach. »Weißt du etwas von der Welt, die dich umgibt?« fragte er. »Ich weiß alles mögliche«, sagte ich.
    »Ich meine, fühlst du überhaupt die Welt, die dich umgibt?« »Ich fühle soviel von der Welt, wie ich nur kann.« »Das ist nicht genug. Du mußt alles fühlen, sonst verliert die Welt ihren Sinn.«
    Ich brachte das klassische Argument vor, ich müsse nicht erst die Suppe kosten, um das Rezept zu kennen, und ich müsse mir keinen elektrischen Schlag verpassen, um etwas über die Elektrizität zu wissen.
    »Du verdrehst meine Worte«, sagte er. »Soweit ich sehe, versuchst du an deinen Argumenten festzuhalten, obwohl sie dir nichts einbringen. Du möchtest da bleiben, wo du bist, sogar auf Kosten deines Wohlergehens.« »Ich weiß nicht, wovon du sprichst.«
    »Ich spreche über die Tatsache, daß du nicht vollkommen bist. Du hast keinen Frieden.« Diese Feststellung ärgerte mich. Ich fühlte mich angegriffen. Ich fand, ihm stehe es bestimmt nicht zu, über meine Handlungsweisen oder meine Persönlichkeit zu urteilen. »Du quälst dich mit Problemen ab«, sagte er. »Warum?« »Ich bin nur ein Mensch, Don Juan«, sagte ich verdrießlich. Diese Bemerkung machte ich in der gleichen Tonart, die mein Vater dabei anzuschlagen pflegte. Immer wenn er sagte, er sei schließlich auch nur ein Mensch, meinte er stillschweigend, daß er schwach und hilflos sei, und seine Bemerkung war, wie die meine, von unendlicher Hoffnungslosigkeit erfüllt. Don Juan blickte mich an wie damals, bei unserer ersten

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