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Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan

Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan

Titel: Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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Geheimnis so einfach.« Er machte eine Pause und summte ein mexikanisches Lied. »Der Wächter der anderen Welt ist eine Mücke«, sagte er bedächtig, als wollte er die Wirkung seiner Worte abschätzen. »Wie bitte?«
    »Der Wächter der anderen Welt ist eine Mücke«, sagte er. »Was dir gestern begegnete, war eine Mücke; und diese kleine Mücke wird dir im Weg stehen, bis du sie überwindest.« Einen Augenblick konnte ich nicht glauben, was Don Juan da sagte, aber als ich mich an den Ablauf meiner Vision erinnerte, mußte ich zugeben, daß ich in einem bestimmten Moment eine Mücke gesehen hatte und daß einen Augenblick später eine Art fata morgana eingetreten war und ich das Ungeheuer sah. »Aber wie könnte eine Mücke mich verletzen, Don Juan?« fragte ich ganz bestürzt. »Als sie dich verletzte, war es keine Mücke«, sagte er. »Es war der Wächter der anderen Welt. Vielleicht wirst du eines Tages den Mut haben, ihn zu überwinden. Jetzt aber noch nicht. Jetzt ist er eine dreißig Meter große, sabbernde Bestie. Aber es hat keinen Sinn, darüber zu sprechen. Es ist keine Heldentat, davorzustehen. Wenn du also mehr darüber wissen willst, suche den Wächter erneut auf.« Zwei Tage später, am 11.November, rauchte ich Don Juans Mixtur von neuem.
    Ich hatte Don Juan gebeten, mich noch einmal rauchen zu lassen, um den Wächter zu suchen. Ich hatte ihn nicht aus der Eingebung des Augenblicks heraus, sondern nach langem Überlegen gefragt. Meine Neugier auf den Wächter war ungleich größer als meine Angst oder als die Befürchtung, meine Klarheit zu verlieren. Der Vorgang war derselbe. Don Juan füllte die Pfeife einmal, und als ich den Inhalt aufgeraucht hatte, reinigte er sie und legte sie weg. Die Wirkung war merklich langsamer; als ich mich ein wenig schwindlig zu fühlen begann, kam Don Juan zu mir, hielt meinen Kopf in seinen Händen und half mir, mich auf die linke Seite zu legen. Er sagte, ich solle die Beine ausstrecken und mich entspannen, und dann half er mir, meinen rechten Arm in Brusthöhe vor meinen Körper zu legen. Er drehte meine Hand, so daß sie mit der Handfläche auf der Matte auflag und mein Gewicht abstützte. Ich tat nichts, um ihm zu helfen oder ihn zu hindern, denn ich wußte nicht, was er tat. Er saß vor mir und sagte, ich solle mir keinerlei Sorgen machen. Er sagte, der Wächter würde kommen, und ich hätte einen Logenplatz, um ihn zu sehen. Er sagte mir auch in beiläufigem Ton, daß der Wärter einem große Schmerzen zufügen konnte, daß es aber eine Möglichkeit gab, dies abzuwenden. Er sagte, daß er mich vor zwei Tagen hatte aufrecht sitzen lassen, als er glaubte, es sei genug. Er deutete auf meinen rechten Arm und sagte, er hätte ihn absichtlich in diese Stellung gebracht, damit ich ihn als Hebel benutzen könnte, um mich abzustoßen, sobald ich wollte. Nachdem er mir all dies gesagt hatte, war mein Körper ganz taub. Ich wollte ihn darauf aufmerksam machen, daß es mir unmöglich sein würde, mich abzustoßen, da ich die Kontrolle über meine Muskeln verloren hatte. Ich versuchte, die Wörter auszusprechen, aber ich konnte es nicht. Er schien jedoch erraten zu haben, was ich sagen wollte, und erklärte mir, daß es dafür einen Trick gebe, der vom Willen abhängig sei. Er forderte mich auf, mich daran zu erinnern, wie ich vor Jahren zum erstenmal die Pilze geraucht hatte. Damals war ich zu Boden gestürzt und war - wie er es damals nannte - durch einen »Akt meines Willens« wieder auf die Beine gekommen. Ich hatte mir in Gedanken den Befehl gegeben, aufzustehen. Er sagte, dies sei die einzig mögliche Art aufzustehen. Was er mir erzählte, nützte mir nichts, denn ich konnte mich nicht daran erinnern, was ich vor Jahren wirklich getan hatte. Ich wurde von Verzweiflung überwältigt und schloß die Augen. Don Juan packte mich an den Haaren, schüttelte heftig meinen Kopf und befahl mir gebieterisch, die Augen nicht zu schließen, Ich öffnete nicht nur die Augen, sondern tat auch etwas, das mich verwunderte. Ich konnte tatsächlich sagen: »Ich weiß nicht  wie ich damals aufstand.«
    Ich erschrak. Der Rhythmus meiner Stimme war ungewöhnlich monoton, aber es war eindeutig meine Stimme, und doch war ich ehrlich überzeugt, daß ich dies nicht gesagt haben konnte, weil ich noch vor einer Minuten unfähig gewesen war zu sprechen. Ich sah Don Juan an. Er drehte sein Gesicht zur Seile und lachte. »Das habe nicht ich gesagt«, sagte ich.
    Und wieder erschrak ich über

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